Medicus von Konstantinopel
betreiben, dies tun kann, ohne sich auf irgendeine Weise mit den Türken zu arrangieren?«
»Nein, natürlich nicht. Das tun alle, wenngleich niemand darüber spricht. Aber wie gesagt, wenn wir Lakonidas übergehen, dann erhöhen wir das Risiko, dass ein direkter Kontakt zu den Türken eventuell gegen uns verwendet würde. Euch wird doch auch bekannt sein, wie die Hofintrigen entstehen und wie sich hinter den erhabenen Mauern des Kaiserpalastes die unterschiedlichsten Gruppen bis auf das Messer bekriegen und vor nichts zurückschrecken.«
»Soweit mir bekannt ist, sind unsere Beziehungen zum Hof doch ausgesprochen gut«, erwiderte Maria. »Schließlich stammen wir von Niccolò Andrea di Lorenzo ab, dem das Imperium einiges schuldet!«
Imperium – dieses Wort kam Maria in diesem Zusammenhang fast wie Hohn vor. Die Grenzen dieses Staates, der sich nach wie vor als solches sah und bezeichnete, waren mittlerweile nahezu mit den Mauern seiner Hauptstadt identisch.
»Nur, weil Euer Urahn geholfen hat, die Lateiner zu verjagen, solltet Ihr Euch der Loyalität des Kaiserhauses nicht auf Dauer zu sicher sein«, warnte Davide. »Das Haus di Lorenzo hat Konkurrenten, die ebenso gut auf den Saiten jener Laute zu spielen wissen, die man Hofdiplomatie nennt und die in Konstantinopel wichtiger ist als alles andere, um Erfolg zu haben.«
»Und was schlagt Ihr vor?«
»Zunächst werden wir die Bedingungen von Andreas Lakonidas akzeptieren müssen. Doch auf lange Sicht wird uns keine andere Möglichkeit bleiben, als das Risiko einzugehen und selbst nach zuverlässigen Verbindungen zu den Türken zu suchen. Aber gnade uns Gott, wenn davon jemand erfährt, für den dieses Wissen nicht bestimmt ist!«
Maria nickte. »Was ist mit Marco?«
»Ja, da ist auch etwas, was mir Sorgen bereitet. Wie ich schon erwähnte, hätte er an diesem Gespräch eigentlich teilnehmen sollen, wobei ich mir inzwischen gar nicht mehr sicher bin, ob es nicht besser so ist …«
»Was meint Ihr damit?«
»Marco ist nicht in seinem Zimmer. Seriféa will gestern noch Schritte in seinem Zimmer gehört haben, also gehe ich davon aus, dass er zu diesem Zeitpunkt noch dort war.«
»Wo ist er hin?«, erkundigte sich Maria.
»Ich hatte gehofft, dass Ihr mir das sagen könntet, Maria. Er ist Euer Bruder, und wie ich weiß, steht Ihr ihm so nahe wie sonst wohl kaum jemand anderes.«
Maria schluckte. »Ich weiß nicht, wo Ihr ihn suchen solltet«, meinte sie, während ihr schlagartig bewusst wurde, dass sie ihren Bruder mutmaßlich doch weniger gut kannte, als sie es bisher geglaubt hatte.
Zwei Tage später tauchte Marco wieder auf. Er trug ein ungewöhnlich schmutziges Lederwams, und auch das Hemd darunter war besudelt. Maria stellte ihn zur Rede. Er sah sie nur an und schwieg.
»Rede mit mir! Wie kannst du einfach verschwinden, ohne zu sagen, wohin und aus welchem Grund? Davide und ich haben uns Sorgen gemacht. Und davon abgesehen wissen wir nicht, ob wir nicht doch die Krankheit in uns tragen und …«
»… falls das der Fall sein sollte, so sind wir doch nur Werkzeuge in den Händen Gottes oder Satans, wenn wir den Tod in die Stadt tragen. Aber du kannst beruhigt sein – dort ist er bereits. Auch wenn noch nicht viele davon wissen, in den Gassen am Eutherios-Hafen munkelt man davon.«
»Marco!«, stieß Maria befremdet hervor. Er sah sie wieder mit diesen glasigen Augen an. »Was redest du?«
»So ist es doch! Nicht einmal ein frommer Mann wie unser Pater Matteo da Creto kann sicher sein, ob er nicht in Wahrheit dem Satan dient, obgleich er sicherlich das Gegenteil beabsichtigt!«
Marias Blick blieb stirnrunzelnd an der besudelten Kleidung haften. »Das – das sieht aus wie … Blut!«, stellte sie fest. »Was ist geschehen?«
»Nichts, worüber ich mit dir sprechen könnte, Schwester«, murmelte er und ließ sie damit einfach stehen.
Die Tage gingen dahin, und wie sehr sich Maria auch darum bemühte, etwas mehr darüber herauszufinden, wo Marco gewesen und was in jener Nacht mit ihm geschehen war, nach der er mit blutbeschmierter Kleidung zurückgekehrt war – er schwieg darüber. Die Fragen, die die Zukunft des Handelshauses betrafen, schienen ihn nicht zu interessieren.
Als sie ihn wieder einmal in seinem Zimmer aufsuchte, saß er in sich versunken auf dem Bett und las in einem kleinen Buch. Er wirkte sehr angestrengt. Marco hatte in der Vergangenheit immer wieder ganze Tage in den Bibliotheken Konstantinopels verbracht und manchmal auf
Weitere Kostenlose Bücher