Medicus von Konstantinopel
von Strauchdieben!«
»Ich weiß nicht, ob das wirklich eine gute Idee ist«, meinte Wolfhart. »Schließlich wirst du gesucht, und ich sollte mich vermutlich besser von dir fernhalten!«
»Kommt darauf an, wie gut du den Weg kennst und ob du weißt, wie man all den Fallen entgeht, die auf Pilger warten, die unterwegs ins Heilige Land sind. Darüber hinaus bin ich einiger Sprachen mächtig, die auf dem Weg, den wir vor uns haben, verbreitet sind. Allein, es liegt bei dir! Wenn du lieber auf eigene Faust unterwegs bist, will ich dich nicht davon abhalten.«
»Da man mich inzwischen wohl ohnehin mit dir in Verbindung bringt, sollte ich vielleicht auch die Vorteile deiner Bekanntschaft in Anspruch nehmen«, meinte Wolfhart.
»Recht gesprochen!«, gab Urban zurück. »Sag mal, wo wir schon dabei sind, wie lautet eigentlich dein Name und weshalb bist du ausgerechnet zur Stadt des östlichen Kaisers unterwegs?«
»Ich bin Wolfhart Brookinger aus Lübeck, und ich will bei dem größten Pestdoktor unserer Zeit in die Lehre gehen, einem Magister namens Fausto Cagliari, der mehr über diese Geißel der Menschheit weiß als jeder andere lebende Mensch!«
»So bist du ein Heilkundiger, Wolfhart?«
»Ich würde eher sagen: Ich bin auf dem Weg, einer zu werden, auch wenn ich schon viel studieren konnte und von den besten Meistern der ärztlichen Kunst lernen durfte.«
Urban unterzog sein Gegenüber einer erneuten und, wie es schien, vertieften Musterung. »Ich habe nicht gewusst, auf einen so klugen Mann mit so hohen Zielen gestoßen zu sein!«
»Du übertreibst!«
»So kannst du zweifellos auch lesen und schreiben!«
»Das kann ich.«
»So viel Bildung sieht man dir gar nicht an! Auch nicht, dass du demnach aus gutem Hause stammen musst. Aber da kann man mal sehen, wie man sich in einem Menschen täuschen kann!«
Nach der Unterhaltung der beiden Männer und einer kurzen, erholsamen Rast war genügend Zeit ins Land gegangen, um sich endlich wieder aufzumachen. Zuerst führten sie ihre Pferde am Zügel durch das dichte Unterholz. Zum Teil war es sehr schwierig voranzukommen, und die Pferde scheuten vor dem dichten Gesträuch. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie in weniger unwegsames Gelände kamen und in die Sättel steigen konnten. Auf einem schmalen, halb zugewachsenen Waldweg ritten sie dann weiter.
Sechstes Kapitel
Drohende Schatten
Mit weiten Schritten ging Maria durch den hohen Korridor. Zornesröte hatte ihr Gesicht überzogen. Als sie die Tür zum Zimmer ihres Bruders erreichte, hielt sie kurz inne. Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und hob das Kinn. Einige tiefe Atemzüge lang überlegte sie, wie sie ihren Zorn in Worte fassen und zugleich auf ein erträgliches Maß mildern konnte. Doch dann sagte sie sich: Wozu eigentlich? Soll er ruhig merken, wie groß mein Ärger über das ist, was er getan hat!
So klopfte sie – energisch und fordernd. Dreimal und mit sehr viel mehr Kraft, als sie es eigentlich beabsichtigt hatte, schlug sie gegen die Tür.
»Marco! Ich weiß, dass du da bist!«
Sie erhielt keine Antwort. Also öffnete sie kurzerhand. Was sie mit ihrem Bruder zu besprechen hatte, duldete keinen Aufschub.
Die Tür flog zur Seite, und als Maria die ersten Schritte in den Raum geschnellt war, blieb sie abrupt stehen. Sie sah, wie Seriféa gerade ihre Kleider zusammenraffte und sie hastig und recht notdürftig in Ordnung brachte. Marco saß auf der Bettkante. Er trug nur eine enganliegende Hose. Die Stiefel lagen im Raum verstreut herum. Ebenso sein Hemd und sein Wams sowie der breite Gürtel mit dem Zierschwert.
Sein Oberkörper war frei. Maria fiel ein Zeichen an seiner Schulter auf. Es bestand aus den miteinander zu einer Ligatur verbundenen Buchstaben Lambda und Rho. Während Seriféa sich verlegen aus dem Raum stahl, griff Marco nach seinem Hemd und streifte es sich über.
»Was willst du, Maria? Bei aller geschwisterlichen Zuneigung, aber du hast dir einen unpassenden Moment ausgesucht, um mit mir zu sprechen.«
Maria sandte Seriféa noch einen missbilligenden Blick hinterher, als diese sich auf dem Flur noch einmal umdrehte, um dann so schnell wie möglich das Weite zu suchen und sich dabei das Mieder wieder restlos zuzuschnüren und ihre Haare so zu richten, dass sie nicht allzu zerzaust aussah.
»Nein, es ist genau der richtige Augenblick!«, entgegnete Maria resolut. »Es fehlt Geld, Marco – und das nicht zum ersten Mal!«
»Ich weiß nicht, warum du dich so
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