Medicus von Konstantinopel
finden. Was treibt Euch zu alldem an, was seid Ihr für ein Mensch – und was sagen Eure Eltern dazu, dass Ihr offensichtlich nicht in Geschäften unterwegs seid und mit Stockfisch oder Gewürzen handelt?«
»Nun, um ehrlich zu sein: Sie sind nicht begeistert. Aber ich suche nach Erkenntnis und habe schon vor langer Zeit für mich entschieden, dass es nichts gibt, was wichtiger wäre.«
»Und damit wollt Ihr einen Dämon besiegen, der immer wieder blindwütig zuschlägt und Euch nicht verschonen wird, wenn Ihr ihm zu nahe kommt?«
»Die Pest ist kein Dämon, nicht im wörtlichen Sinn jedenfalls«, widersprach Wolfhart.
»Niemand weiß genau zu sagen, was sie ist, Wolfhart. Die Pest gehört zu einem der Rätsel, die Gott uns gestellt hat und die wir nicht zu lösen vermögen.«
»Wenn es wirklich Gott war, der uns dieses Rätsel stellt, dann gibt es keinen Grund, warum der Mensch es nicht irgendwann lösen sollte. Und dazu möchte ich beitragen.«
Ihre Blicke trafen sich jetzt endlich wieder. Es war ein Moment, in dem sie sich ihm auf eine Weise nahe fühlte, wie sie das bisher nie erfahren hatte. Sie hörte ihm zu, nahm den Klang seiner Stimme in sich auf und schmunzelte innerlich, wenn er vom Venezianischen in das Gelehrtenlatein wechselte, das er wohl etwas besser beherrschte. Der Klang seiner Stimme war angenehm und ruhig. Er war kaum älter als sie, trotzdem schien er sehr genau zu wissen, welchen Weg er gehen wollte.
Wolfhart sprach über seine Familie in Lübeck und über die Pestepidemie, die er dort während seiner Kindheit miterlebt hatte. Je länger er ihr davon erzählte, desto besser verstand sie die Entschlossenheit, die ihn vorantrieb – bis in diese Stadt, die aus der Sicht eines Kaufmannssohns aus Lübeck geradezu am Rand der bekannten Welt liegen musste. Er verschwieg nicht, wie wenig begeistert seine Eltern von seinen Plänen gewesen waren, dass sie es aber letztlich akzeptiert hatten, dass ihm ein anderer Weg bestimmt war als der, den sie für ihn vorgesehen hatten.
»Meine Eltern haben immerhin noch meinen Bruder, der ihr Handelshaus in ihrer ehrbaren Tradition fortsetzen kann«, lächelte er. »Ich habe diese Entscheidung so lange vor mir hergeschoben, und ehrlich gesagt war ich sehr erleichtert, als ich es ihnen endlich mitgeteilt hatte.«
»Sie hätten Euch verstoßen können, Wolfhart.«
»Das ist mir bewusst. Doch das hätte ich in Kauf genommen.«
»Um Eurer großen Ziele willen?«
»Ja. Es gibt hier in Konstantinopel den berühmtesten Pestarzt unserer Zeit. In Erfurt und Prag redet man ebenso von ihm wie in Paris oder Köln. Niemand versteht mehr von dieser Krankheit als er, und ich hoffe sehr, dass er mich als seinen Schüler annimmt.«
Maria hob die Augenbrauen. Sie musste sich Mühe geben, sich auf seine Worte zu konzentrieren, anstatt sich einfach nur im Anblick seines Gesichts und dem Klang seiner Stimme zu verlieren. »Hat dieser außergewöhnliche Mensch, von dem Ihr sprecht, auch einen Namen?«
»Er heißt Fausto Cagliari – und auch wenn es Euch in Eurem genuesischen Stolz verletzen mag, er ist von Geburt ein Venezianer. Gelebt hat er vermutlich kaum länger als ein ganzes Jahr am Stück in der Stadt des Dogen.«
»Fausto Cagliari …«, murmelte sie.
»Euch scheint dieser Name nicht unbekannt zu sein!«
»Wohl wahr, auch wenn ich keine angenehmen Erinnerungen an unsere Begegnungen knüpfe. Unter Umständen wäre es möglich, Euch mit ihm zusammenzubringen, denn ich glaube kaum, dass Ihr auf dem gewöhnlichen Weg über die Hofbeamten sonderlich erfolgreich wärt. Wisst Ihr, es sollen schon sehr bedeutende Gesandte noch bedeutenderer Herrscher und große Gelehrte mitunter jahrelang in der Stadt geweilt haben, in der Hoffnung, irgendwann zum Kaiser oder wenigstens zu einem seiner Untergebenen vorgelassen zu werden.«
»Und zu jemandem wie Fausto Cagliari kommt man nur über den Kaiser höchstselbst?«, vergewisserte sich Wolfhart.
Maria hob die Schultern. »Wie Ihr vielleicht gehört habt, ist der Kaiser vor kurzem gestorben. Manche sagen auch, er sei umgebracht worden. Was immer man auch über Kaiser Johannes sagen mochte, es gab zwei Dinge, die ihm wirklich am Herzen lagen: Das eine war die Kirchenunion, derentwegen er lange in Ferrara bei Florenz gewesen ist, und das zweite war der Kampf gegen den Pestdämon, dem seine geliebte Frau, meine Namensvetterin Maria von Trapezunt, zum Opfer fiel.«
Wolfhart griff plötzlich über den Tisch und nahm ihre Hände.
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