Medicus von Konstantinopel
Buchhalter und Übersetzer. Er reiste mit seinem Herrn bis zu den großen Flüssen nördlich der Alpen und hat am eigenen Leib zu spüren bekommen, mit welchen Giften die Menschen dort ihren Körper traktieren, um sich angeblich zu heilen. Und dabei schaden sie ihm mehr, wenn sie sich Quecksilber einträufeln, als dass es ihnen nutzen oder gar ihr Leben verlängern würde! Ich bitte um Verständnis, dass ich diesen zweifelhaften Künsten niemals wieder mein Leben in die Hände geben würde! Niemals!« Davide machte eine Handbewegung, die seine Entschiedenheit in dieser Frage unterstreichen sollte. »Medizin im eigentlichen Sinn des Wortes gibt es ebenso wie ärztliche Heilkunst nur in den Ländern der Muslime.«
»Gut, es zwingt Euch ja niemand, länger die Hilfe von Wolfhart Brookinger oder irgendjemandem sonst anzunehmen, wenn Ihr nicht wollt«, schränkte Maria ein. »Aber Tatsache bleibt, dass wir diesem Kanonengießer ebenso wie dem jungen Kaufmannssohn zu Dank verpflichtet sind. Womöglich könnten wir uns ja erkenntlich zeigen, indem wir ihnen den ersten Zugang zum Hof etwas erleichterten.«
»Unser Freund Nektarios Andronikos wird in Kürze zum ersten Logotheten ernannt werden«, erklärte Davide. »Ich habe es nur gerüchteweise gehört, aber es scheint eine sichere Quelle zu sein. Sein Vorgänger ist ja seit dem Anschlag auf den Patriarchen eingekerkert, weil er angeblich an einer Verschwörung von Kirchenunionsgegnern beteiligt war.«
»Stefanos Pantelis – ein Verschwörer. Wer hätte das vor kurzem noch für möglich gehalten?«, entfuhr es Maria. »Nektarios’ Aufstieg ist für uns natürlich von Nutzen. Mit seiner Hilfe könnten wir vielleicht etwas für Wolfhart und Urban tun.«
»Das wird man sehen …«, meinte Davide skeptisch, der von diesem Gedanken ganz offensichtlich nicht sonderlich begeistert war. Er machte eine kleine Pause und kam danach auf dieses Thema nicht mehr zurück. Stattdessen sagte er in einem deutlich veränderten Tonfall: »Ihr solltet lieber über etwas anderes nachdenken: Bei den Männern, die uns nach unserem Besuch bei Zacharias dem Einäugigen überfallen haben, handelt es sich zweifellos um Gesindel, doch was ich mich schon die ganze Zeit über frage, ist, ob sich dieses Gesindel wirklich zufällig zusammengerottet hat oder aber von jemandem angestiftet und bezahlt worden ist.«
»Weshalb sollte so etwas geschehen?«, fragte Maria.
»Zum Beispiel, um die Erbin eines großen Handelshauses zu entführen und für ihre Freilassung Geld zu erpressen. Es hat in letzter Zeit ein paar ähnliche Fälle gegeben.«
»Davon habe ich nichts gehört.«
»Ja, weil es keine Genueser waren. Aber sie waren reich und wurden überfallen. Außerdem hatten ihre Angehörigen hinterher allen Grund, nicht groß darüber zu reden, weil sie wohl befürchteten, dass ihnen erstens ohnehin niemand helfen würde und sie zweitens Gefahr liefen, Opfer von Racheakten zu werden.«
»Habt Ihr irgendeine Vorstellung, wer dahinterstecken könnte?«
Davide zuckte mit den Schultern. »Konstantinopel hat sich schon vor längerer Zeit von einer Hauptstadt der Christenheit in eine Hauptstadt des Übels verwandelt. Wahrscheinlich ist es an der Zeit, Planungen zu treffen, die bis in die Zeit hineinreichen, in der die Ruinen dieser Stadt unter ihrem eigenen Gewicht in sich zusammengefallen sein werden, Maria.«
»Alles aufgeben?«, fragte Maria. Der Gedanke gefiel ihr nicht. Hätte das nicht bedeutet, all die Leistungen ihrer Vorfahren wenig zu schätzen? Was wäre der Sieg, den Niccolò Andrea di Lorenzo seinerzeit mit erfochten hatte, noch wert gewesen, nicht zu vergessen die lebenslangen Anstrengungen ihrer Eltern und Großeltern?
»Ich spreche nicht davon, fluchtartig die Stadt zu verlassen. Dazu besteht kein Anlass«, erklärte Davide.
»Dann habe ich Euch falsch verstanden?«
»Ich plädiere lediglich dafür, Alternativen zu bedenken und langfristig zu überlegen, ob man den Hauptsitz des Handelshauses nicht an einen sicheren Ort verlegen sollte. Einen Ort mit stabiler Herrschaft und sicheren Gesetzen.« Ein mildes Lächeln huschte über Davides hart geschnittenes Gesicht. »Aber vielleicht ist das auch nur ein vergeblicher Wunschtraum, den insgeheim Händler und Kaufleute überall auf der Welt träumen und der sich in dieser Form immer nur für kurze Zeit erfüllen lässt …«
Maria suchte Wolfhart Brookinger in der einfachen Unterkunft auf, in der er zusammen mit Urban Kanonengießer lebte,
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