Medienmuendig
intensiven Phasen liebevoller Pflege und Beachtung durch die Betreuungspersonen und längeren Phasen mit kindlicher Eigentätigkeit sich sehr gut ergänzten,nach dem Motto: Lass mir Zeit, es selbst zu tun. Dabei beschreibt Emmi Pikler auch, wie wichtig es für ein kleines Kind ist, Fehler machen zu dürfen. »Lass mich meine eigenen Fehler machen, um aus ihnen zu lernen.« Das ist Fehlerfreundlichkeit. 62 Um Treppensteigen zu lernen, ist eine lange Treppe im Eingangsbereich, wo nach 15 Stufen unten ein Steinpodest wartet, nicht geeignet. Denn hier kann das Kind nicht aus den Fehlern lernen, sondern es zieht sich womöglich schlimme Verletzungen zu, und deswegen muss dann ständig ein Erwachsener danebenstehen, um es zu bewachen.
Deshalb gibt es in dem ungarischen Kinderheim laut Pikler Treppen, bei denen das eigenständige Ausprobieren nicht nur erlaubt, sondern erwünscht ist: Sie haben nur zwei Stufen. Hier dürfen die Kinder auch herunterfallen − immer und immer und immer wieder, bis sie schließlich so geschickt im Umgang mit Stufen geworden sind, dass man sie später ohne Bedenken allein auch auf die Treppe mit dem Steinpodest lassen kann.
Aber Vorsicht! Das Verhindern kleiner Verletzungen, wie es in den heutigen »kindergesicherten« Wohnungen üblich ist (Kantenschutz, Schubladensperre, Herdgitter) 63 , ist etwas ganz anderes: Das ist nicht fehlerfreundlich, sondern bloß fehlertolerant. Toleranz ist lediglich Duldung oder »Aushalten« von Fehlern, Freundlichkeit ist eine Haltung, in der Fehler als notwendiger Bestandteil von Entwicklung begrüßt werden. Würde man, um beim Beispiel zu bleiben, das ganze Treppenhaus in weiche Gummimatten packen, wäre das eine fehlertolerante Umgebung. Alle Stürze würden abgebremst. Kleine Unfälle, kleine Beulen, Verstauchungen, Verbrennungen, Schnittwunden sollten wir aber als Erwachsene bei den uns anvertrauten Kindern gar nicht zu verhindern suchen: Zu viel
Fehler toleranz
ist gefährlich. In einer Umgebung ohne Ecken und Kanten, wo alles so gestaltet ist, dass nichts schiefgehen kann, lernt ein Kind aus seinen Fehlern eben nicht Vorsicht und Verantwortungsbewusstsein, sondern ungeschicktes Draufgängertum. Dagegen lernen Kinder, die kleine Unfälle haben dürfen, Verantwortungfür ihre Handlungen zu übernehmen. Dadurch geraten sie letztlich weniger häufig in ernsthaft bedrohliche Situationen.
Am Treppenbeispiel sieht man sehr schön, dass die Freiheiten, die einem Kind gut tun, sehr stark von seiner Fähigkeit abhängen, für die eigenen Handlungen Verantwortung zu übernehmen, und damit von seinem Entwicklungsstand. Die Kunst des Erziehens besteht nach diesen Überlegungen darin, für das Kind eine Umgebung zu schaffen, in der es möglichst selten nötig wird, durch Verbote seine Handlungsfreiheit einzuschränken, weil die Umgebung fehlerfreundlich eingerichtet ist. Statt einer dauernden Hab-Acht-Stellung der Eltern wäre dann bei dem gefährlichen Treppenhaus eher zu einem Absperrgitter zu raten, das den Zugang zu dieser Treppe versperrt. Eine so vorbereitete Umgebung entlastet die Beziehung zwischen dem Kind und der Bezugsperson, weil diese nicht dauernd »Vorsicht!«, »Nicht!« rufen oder das Kind festhalten muss. Gerade durch die Beschränkung wird Spielraum geschaffen
.
Ein Absperrgitter kann also ein Gewinn für die Beziehung und die Bewegungsfreiheit sein. Ob aber das Absperrgitter Freiheit einschränkt oder Freiheit schafft, ist nicht am Gegenstand Gitter festzumachen,
sondern an seiner Angemessenheit bezogen auf das Alter des Kindes.
Ein acht Monate altes Kleinkind gewinnt durch das Treppengitter Bewegungsfreiheit. Für ein acht Jahre altes Schulkind wäre »Treppenverbot« eine unangemessene Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit. In ähnlicher Weise ist zu fragen, welches »Medienverbot« in welchem Alter angemessen ist. »Die Freiheiten müssen Hand in Hand mit den Fähigkeiten zur Übernahme von Verantwortung wachsen«, sagt der Medienpädagoge Eberhard Freitag dazu. 64 Für jedes Kind und jedes Medium will das gut überlegt sein. Es wird immer zu fragen sein: Ist das »Verbot« noch Schutz vor etwas, das die Entwicklung gefährden würde, oder beschneidet es eher die Entwicklungsmöglichkeiten? Das Problem ist hierbei natürlich, dass Kinder in den Medien sehr vieles nur scheinbar erleben,ohne die Konsequenzen zu spüren. Man könnte das »Parken« der Kinder vor Bildschirmen mit dem gepolsterten Treppenhaus vergleichen, weil es zahllose
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