Medienmuendig
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Gestaltungs-Workshops denken, sage ich: Immer langsam! Jedes weiße Blatt kann Gestaltungsspielraum für ein Kunstwerk sein, jedes kleine Stöckchen kann als Trommelstock Ausgangspunkt für eine kleine musikalische Vorführung werden. Dabei wird Produktionskompetenz geschult, und zwar mit Mitteln, die für kleine Kinder eindeutig mehr Vorteile und weniger Nachteile (siehe Kapitel 7 zu negativen Medienwirkungen) haben als Film, Fernsehen oder PC.
Eine wichtige Erfahrung für das Kind beim Produzieren: Es lohnt sich, über längere Zeit an einer Sache »dranzubleiben«, auch über Durststrecken hinweg. Es kann genügend Erfahrungen sammeln, die ihm helfen, das Nicht-Können auszuhalten, also Frustrationstoleranz zu erwerben. Dabei ist es wichtig, dass man nicht »Frustrationstoleranz trainieren« auf einen Lehrplan schreibt. Das wäre nur so ähnlich wie die oben erwähnte unsinnige Idee, mit der kleinen Sabine die Koordination von Nacken- und Augenmuskulatur zu »trainieren«. Wenn am Ende längerer Bemühungen ein schönes, nützliches, gewürdigtes Produkt entsteht, dann werden dabei gleichzeitig die Frustrationstoleranz und die Produktionsfähigkeiten gefördert. Ein »Produkt« muss dabei nicht etwas Materielles sein. Ob am Ende das Produkteine Theateraufführung, ein Tagebuch, eine musikalische Darbietung, ein gezimmertes Vogelhäuschen, ein selbst gepflanzter Baum oder eine Schüssel Apfelmus ist? Jedenfalls sind das alles Produkte, die das heute sehr gefährdete »eigentliche Leben«, von dem ich oben schon sprach, bereichern.
Das schlimmste Missverständnis wäre allerdings, aus diesem Vorschlag eine Art »Freizeit-Stress« entstehen zu lassen, weil man glaubt, dies
alles
verwirklichen zu müssen. Darum geht es nicht. Eltern, Erzieher sollten als gute Vorbilder Dinge tun, die ihnen selbst Freude machen, und dort, wo es sich anbietet, die Kinder daran teilhaben lassen. Die Freude am eigenen Tun ist das Wichtigste an Ebene drei im Turm der Medienmündigkeit. Das können sich Kinder nur von Erwachsenen abschauen, die mit Spaß bei der Sache sind. 110
So weit zu den Produktionsfähigkeiten allgemeiner Art. Und wie entstehen Produktionsfähigkeiten im Bereich der elektronischen Medien? Hier könnte man eine Kassette aufnehmen, einen Film drehen, eine Radiosendung aufzeichnen, einen Facebook-Account einrichten. Learning by doing: Sehr gut. In diese Richtung gehen viele sinnvolle Medienprojekte in Schule und Jugendarbeit. Aber was und wann? In den Hochphasen der »aktiven Medienarbeit« der 1980er Jahre wurde viel mehr darauf geachtet, welche der für das Alter der Kinder angemessenen Medien in Frage kamen. Filmprojekte und Computer, seit Jahrzehnten in der Jugendarbeit bewährt, soll es jetzt plötzlich schon im Kindergarten geben (vgl. Kapitel 8 zu den »Schlaumäusen«)? Das ist Unsinn. Es gibt für jüngere Kinder bewährte und geeignetere »Trainingsmedien«. Denken Sie noch einmal an das Beispiel Verkehrsmündigkeit in Kapitel 1, in dem Fehlerfreundlichkeit, Verstehbarkeit und Langsamkeit als Eigenschaften guter »Trainingsmedien« beschrieben wurden. Für den PKW-Führerschein sind praktische Fahrstunden erst ab 17 Jahren sinnvoll, aber davor hat das Kind Dreirad fahren gelernt, den Fahrradführerschein gemacht … Was das Fahrrad fürs Auto, könnten der Brief und das Dosentelefon fürs Handy, das Kasperletheater,die Laterna magica oder das Daumenkino für den Film sein.
Noch befinden wir uns im dritten Stockwerk des Turms, und bevor wir zum vierten vorrücken, werde ich erklären, warum es ganz besonders zwischen diesen beiden keine scharfe Abgrenzung gibt. Wer an der Spieluhr kurbelt, hört das Gespielte auch. Wer einen Film gedreht hat, wird ihn hinterher auch vorführen und selbst anschauen wollen. Genauso gestaltet man Fotoalben
auch
, um sie hinterher betrachten zu können und nicht nur um die Gestaltung eines Fotoalbums zu lernen!
Wahrnehmen, verstehen, verarbeiten, genießen − Rezeptionsfähigkeiten
Kann man also sagen, dass Produktion die aktive Herstellung und Rezeption die passive Aufnahme ist und dass im Turm zuerst das Aktive, dann das Passive kommen sollte? So einfach ist es nicht. Rezeption muss nicht passiv sein
.
Ziel der Schulung von Rezeptionsfähigkeiten müsste es gerade sein, dass die Rezeption aktiv wird, indem auch in den »Konsum« viel eigene Gestaltungskraft einfließt. Wenn man zuvor produziert hat, wird man dieses Produzierte sehr viel aufmerksamer, bewusster,
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