Meditation
längst keine Rede mehr. Wenn erkannt wird, dass die Lust am Anfang steht und man später dafür bezahlen muss, entsteht Nibbida gegenüber diesem ganzen Reich der Sinne: gegenüber dem Körper, gegenüber Beziehungen, gegenüber jeglichem Kommen und Gehen, sogar gegenüber dem Bau von Klöstern. Alles wird vergehen. Selbst diese Erde wird irgendwann von der Sonne verschluckt, und dann ist nichts mehr da, keine Zeugnisse der Menschen, keine chinesische Mauer, kein Tadsch Mahal, gar nichts. Alles ist dann weg, auch die Lehren des Buddha. Das ist einfach der Lauf der Natur.
Leiden und Tod naher Verwandter gehören ebenfalls zu den Dingen, die uns die Natur des Lebens sehr deutlich vor Augen führt. Als ich meine Mutter das letzte Mal sah, hatte sie Alzheimer. Da war sie mir schon genommen, ihr Körper war noch da, aber ihr Geist nicht mehr. Als Halbwüchsiger habe ich meinen Vater sterben sehen. Meine Mutter weckte mich in der Nacht und sagte, sie bekomme ihn nicht wach. Ich schüttelte ihn, doch sein Körper war bereits eine Leiche. Das war mein Vater, den ich liebte. Ich wusste damals schon, dass es mit dem Tod eben so ist. Ich konnte ihn ganz einfach und ohne Zögern loslassen. Ich schätze mich glücklich, dem Tod damals schon so nahe gekommen zu sein. Da sieht man, dass die Eltern einem eben doch nicht gehören, es sind einfach zwei Leute, die sich in der frühen Phase deines Lebens um dich kümmern. In früheren Leben hast du schon viele Eltern gehabt, das hier sind einfach die aktuellen Eltern. Weshalb sollte man so ganz besonders mit ihnen befasst sein? Vielleicht verdanke ich es dieser Sicht des Todes, dass ich nicht besonders an meinem Körper hänge und meine Meditation im Allgemeinen ganz gut läuft.
Man Vater war erst siebenundvierzig, als er starb. Ich lebe jetzt schon mehr als zehn Jahre über dieses Alter hinaus, es fühlt sich ein bisschen wie geborgte Zeit an. Wenn man es so sieht, steht einem die Realität des Todes sehr klar vor Augen und man betrachtet das Leben ein wenig nüchterner. Wer nicht so denkt, und das sind die allermeisten, sieht den Tod als etwas, das in weiter Ferne liegt – damit wird man sich befassen, wenn es so weit ist. Und genau diese Leute kommen dann überhaupt nicht mit dem Sterben zurecht.
Sehr viele blicken im Alter zurück und denken an das gelebte Leben. Da gibt es für mich nicht viel Aufregendes zu sehen, ich habe die letzten fünfunddreißig Jahre als Mönch verbracht. Das sind fünfunddreißig Jahre eines reinen Lebens, der geistigen Schulung, erfüllt von dem Frieden und Glück, die man im Dienst an anderen findet. Unter Menschen meiner Altersgruppe gehöre ich sicher zu denen, die gut auf das Altwerden vorbereitet sind. Rückblickend kann ich nur sagen: »Ja, ich habe meine Zeit klug genutzt.« Nach einem Leben als verheirateter Geschäftsmann hätte ich sicher nicht diesen Frieden und diese Geborgenheit, die man findet, wenn man etwas getan hat, das wirklich der Mühe wert war. Wie in meinem wiederkehrenden Traum wäre ich dann eines Tages aufgewacht und hätte mich fragen müssen: »Was um Himmels willen habe ich nur gemacht? All die Zeit – vergeudet!« Das Nachdenken über Alter, Krankheit und Tod lässt uns das Leben anders sehen. Wir sollten es öfter tun und mehr in die Tiefe gehen. Versucht es einmal bei der Meditation im Gehen mit einem Mantra wie diesem: »Ich werde sterben, so viel ist sicher. Ich werde sterben, so viel ist sicher.« Auch wenn ihr schon meditationserfahren seid, unterschätzt die Kraft solcher Betrachtungen über den Tod nicht. Wenn ihr noch nicht in den Strom eingetreten seid, können solche Betrachtungen und Meditationen euer gesamtes Weltbild verändern. Die Sinnenwelt verliert ihre Anziehungskraft und stattdessen empfindet ihr Nibbida für sie. Das Haften an ihr, das Verlangen, lässt nach und an seine Stelle tritt eine natürliche Neigung, sich von ihr abzuwenden.
Sterben lernen
Das letzte Kapitel meines Buchs Die Kuh, die weinte erzählt von einem Wurm, der so an dem Misthaufen haftet, den er sich als Behausung gewählt hat, dass er selbst gegen das Versprechen, einen Platz im Himmel zu bekommen, nicht von ihm lassen mag. Ich habe manchmal das Gefühl, dass meine Hauptaufgabe als Lehrer darin besteht, die Menschen aus ihren selbst gewählten Misthaufen zu ziehen. Ich gebe mir wirklich alle Mühe, ich schreibe Bücher, halte Vorträge und stehe für persönliche Gespräche bereit, aber viele bevorzugen es, in ihrem Misthaufen
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