Medizin für Melancholie
anderen überrascht.
»Ja«, rief Domínguez, der eben gerade ein Guckloch gefunden hatte. »Da ist der Anzug! Gott sei Dank, Vamenos steckt noch drin!«
»Ich kann nichts sehen!« Gómez schielte durch den Spalt und schützte die Augen mit der Hand. »Was tut er da?«
Martínez spähte wieder. Ja! Dort hinten, im Schatten, ein großer Schneefleck und Vamenos’ dämliches Lächeln darüber, in Rauch gehüllt.
»Er raucht!« sagte Martínez.
»Er trinkt!« rief Domínguez.
»Er ißt einen taco!« berichtete Villanazul.
»Einen saftigen taco«, fügte Manulo hinzu.
»Nein«, sagte Gómez. »Nein, nein, nein…«
»Ruby Escuadrillo steht neben ihm.«
»Das muß ich sehen!« Gómez schob Martínez beiseite.
Ja, das war Ruby. Zweihundert Pfund glitzernder Spangen auf prall sitzendem schwarzem Satin; ihre knallroten Fingernägel umkrallten Vamenos’ Schultern. Das mit Puder wie mit Mehl bestrichene und mit fettem Lippenstift beschmierte Gesicht über ihm.
»Dieses Nilpferd!« sagte Domínguez. »Sie zerdrückt die Schulterpolster. Sieh dir das an, sie will sich auch noch auf seinen Schoß setzen!«
»Nein, nein, nein, nicht mit all dem Puder und Lippenstift!« rief Gómez. »Manulo, los, hinein! Schnapp ihm das Glas weg!
Villanazul die Zigarre, den taco! Domínguez, verabrede dich mit Ruby Escuadrillo, bring sie fort. Ándale, Leute!«
Die drei verschwanden und ließen Martínez und Gómez zurück. Sie starrten aufgeregt durch das Guckloch.
»Manulo hat das Glas, er trinkt es aus!«
»Ay, da ist Villanazul, er hat die Zigarre, er ißt den taco.«
»He, Domínguez hat Ruby! Der ist tüchtig!«
Ein mächtiger Schatten schob sich rasch durch Murillos Eingangstür.
»Gómez!« Martínez packte Gómez am Arm. »Das war Ruby Escuadrillos Freund, Toro Guíz. Wenn der sie mit Vamenos erwischt, ist der Anzug mit Blut befleckt…«
»Mach mich nicht nervös«, sagte Gómez. »Schnell!«
Beide liefen los. Drinnen erreichten sie Vamenos im selben Augenblick, als Toro Ruíz eben fünfzig Zentimeter von den Rockaufschlägen des wunderbaren Anzugs packte.
»Laß Vamenos los!« sagte Martínez.
»Laß den Anzug los!« verbesserte Gómez ihn.
Toro Ruíz, der Vamenos im Stepschritt vor sich herführte und schüttelte, schielte böse auf die Eindringlinge.
Villanazul trat schüchtern lächelnd vor. »Schlag ihn nicht. Schlag mich.«
Toro Ruiz hieb Villanazul schallend auf die Nase.
Villanazul hielt sich die Nase. Beißende Tränen schossen ihm in die Augen, und er ging fort.
Gómez packte Toro Ruíz an einem Arm, Martínez am anderen.
»Laß ihn fallen, laß los, cabrón, coyote, vaca!«
Toro Ruíz zerknautschte den Stoff des Eiskremanzugs, bis alle sechs Männer in Todesqualen aufschrien. Grunzend und schwitzend schob Toro Ruíz alle fort, die sich an ihn hängten. Er sammelte gerade alle seine Kräfte, um auf Vamenos einzuschlagen, als Villanazul mit strömenden Augen zurückkam.
»Schlag ihn nicht. Schlag mich!«
Während Toro Ruíz Villanazul zum zweiten Mal auf die Nase hieb, landete auf seinem Kopf krachend ein Stuhl.
»Ay!«, sagte Gómez.
Toro Ruíz schwankte, überlegte, ob er fallen sollte. Er versuchte Vamenos mit sich zu zerren.
»Laß los!« schrie Gómez. »Laß los!«
Toro Ruíz Bananenfinger ließen einer nach dem anderen ganz vorsichtig den Anzug los. Im nächsten Augenblick brach er zu ihren Füßen zusammen.
»Compadres, hierher!«
Sie schoben Vamenos rasch hinaus und setzten ihn nieder; in seiner Würde gekränkt, entwand er sich ihren Händen.
»Okay, okay. Meine Zeit ist noch nicht um. Ich habe noch zwei Minuten und – wartet mal – zehn Sekunden.«
»Was!« riefen die anderen.
»Vamenos«, sagte Gómez, »du läßt diese Kuh aus Guadalajara auf dir herumklettern, du fängst Schlägereien an, du rauchst, du trinkst, du ißt tacos, und jetzt hast du noch die Frechheit zu sagen, deine Zeit sei nicht um?«
»Ich habe noch zwei Minuten und eine Sekunde!«
»He, Vamenos, du siehst aber schick aus«, rief eine Frauenstimme von fern über die Straße.
Vamenos lächelte und knöpfte das Jackett zu.
»Das ist Ramona Alvarez! Ramona, warte!« Vamenos trat von der Bordkante hinunter.
»Vamenos«, bettelte Gómez, »was kannst du schon in einer Minute und…«, er schaute auf seine Armbanduhr, »vierzig Sekunden anfangen?«
»Das werdet ihr sehen. Halt, Ramona!«
Vamenos lief mit langen Schritten fort.
»Vamenos, paß auf!«
Vamenos drehte sich überrascht um, sah einen Wagen
Weitere Kostenlose Bücher