Medizin für Melancholie
weil er das Lächeln nicht wieder loswerden konnte, das sich in seinen Wangen festgesetzt hatte, eilte er, lief er beinahe um die Ecke und fühlte, wie sie ihm nachstarrte. Als er sich umsah, hatte sie die Brille abgenommen und schaute nun mit dem Blick der Kurzsichtigen auf das, was für sie allerhöchstens ein heller Fleck sein konnte, der sich da unten im Dunkeln bewegte. Dann ging er, um des guten Eindrucks willen, noch einmal um den Block, durch eine Stadt, die plötzlich so schön war, daß er am liebsten geschrien, gelacht und wieder geschrien hätte.
Auf dem Rückweg trieb er selbstvergessen dahin, die Augen halb geschlossen, und als die anderen ihn an der Tür erblickten, sahen sie nicht Martínez, sondern sich selbst heimkommen. In diesem Augenblick spürten sie, daß mit ihnen allen irgend etwas vorgegangen war.
»Du kommst zu spät!« rief Vamenos, aber er brach sogleich ab. Der Zauber ließ sich nicht brechen.
»Da sag mir doch bitte einer«, bat Martínez, »wer ich eigentlich bin?«
Er ging langsam im Kreis herum durch das Zimmer.
Ja, dachte er, es ist der Anzug. Ja, es hatte etwas mit dem Anzug zu tun und mit ihnen allen an diesem schönen Samstagabend, zuerst im Laden, dann hier – wie sie lachten und berauscht waren, ohne zu trinken, Manulo hatte es selbst gesagt, und wie die Nacht verging und jeder in die Hosen schlüpfte und sich taumelnd auf die anderen stützte, sein Gleichgewicht wiederfand und das Gefühl immer stärker und wärmer wurde, als sie fortgingen und der nächste seinen Platz im Anzug einnahm, bis jetzt Martínez dastand, feierlich und weiß wie jemand, der Befehle erteilt, so daß neben ihm alle still werden und zur Seite treten.
»Martínez, wir haben uns drei Spiegel ausgeliehen, während du fort warst. Schau!«
Die Spiegel waren wie im Geschäft in einem bestimmten Winkel zueinander aufgestellt, so daß sie drei Martínez reflektierten und zugleich die Spuren und Erinnerungen jener, die diesen Anzug vor ihm getragen und die leuchtende Welt in diesem Garn und Tuch kennengelernt hatten. Jetzt sah Martínez in glänzenden Spiegeln die Bedeutung dieses Geschehens, das sie gemeinsam erlebten, und seine Augen wurden feucht. Die anderen blinzelten. Martínez berührte die Spiegel. Sie verschoben sich, und er sah tausend, abertausend Martíneze in weißer Rüstung, die in die Ewigkeit fortmarschierten, gespiegelt und widergespiegelt, unaufhaltsam und endlos.
Er hielt das weiße Jackett in die Luft. Die anderen waren so entrückt, daß sie zuerst die schmutzige Hand nicht bemerkten, die danach griff. Dann:
»Vamenos!«
»Du Schwein!«
»Du hast dich nicht gewaschen«, schrie Gómez, »und nicht einmal rasiert, während du gewartet hast! Compadres, ins Bad mit ihm!«
»Ins Bad!« wiederholten alle.
»Nein!« wimmerte Vamenos. »Die Nachtluft! Ich bin ein toter Mann!«
Sie schoben den schreienden Vamenos in den Flur hinaus.
Nun stand Vamenos da – unglaublich – im weißen Anzug, rasiert, mit gekämmtem Haar, sauberen Fingernägeln.
Seine Freunde blickten ihn düster an.
Denn stimmt es etwa nicht, dachte Martínez, daß es die Lawinen auf den Berggipfeln juckt, wenn Vamenos vorbeigeht? Wenn er unter den Fenstern dahinschlendert, spuckten die Leute aus und kippten Abfälle hinunter oder Schlimmeres. Heute abend nun sollte er unter zehntausend weit geöffneten Fenstern Spazierengehen, an Balkons entlang und durch schmale Gassen. Plötzlich war die ganze Welt voll Fliegensummen. Und da stand Vamenos – ein frisch glasierter Kuchen.
»Du siehst wirklich rasant aus in dem Anzug, Vamenos«, sagte Manulo traurig.
»Danke.« Vamenos streckte sich und versuchte, es sich bequem zu machen, wo alle anderen es kurz vorher gewesen waren. Er sagte leise: »Kann ich jetzt gehen?«
»Villanazul!« sagte Gómez. »Schreib ihm die Vorschriften ab.«
Villanazul leckte an seinem Bleistift.
»Zuerst einmal«, sagte Gómez, »fall in diesem Anzug nicht hin.«
»Nein.«
»Lehn dich mit diesem Anzug nicht an Hausmauern.«
»Nicht an Hausmauern.«
»Geh mit diesem Anzug nicht unter Bäumen, auf denen Vögel sitzen. Rauch nicht. Trinke nicht…«
»Bitte«, sagte Vamenos, »darf ich mich in diesem Anzug hinsetzen?«
»Im Zweifelsfall zieh die Hosen aus und leg sie gefaltet über einen Stuhl.«
»Wünscht mir Glück«, sagte Vamenos.
»Geh mit Gott, Vamenos.«
Er ging hinaus und schloß die Tür.
Man hörte das Geräusch von zerreißendem Stoff.
»Vamenos!« schrie
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