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Medizin für Melancholie

Medizin für Melancholie

Titel: Medizin für Melancholie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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und hörte die Bremsen kreischen.
    »Nein!« schrien die fünf Männer auf dem Bürgersteig.
    Martínez hörte den Aufprall und schauderte zurück. Dann hob er den Kopf. Sieht aus wie weiße Wäsche, die durch die Luft fliegt, dachte er. Er senkte den Kopf.
    Jetzt hörte er, wie er und die anderen Männer alle einen Laut von sich gaben, jeder einen anderen. Einer schluckte zu viel Luft, einer stieß sie aus. Einer erstickte beinahe. Einer stöhnte. Einer rief laut nach Gerechtigkeit. Einer bedeckte sein Gesicht. Martínez spürte, wie er sich gequält mit der Faust auf die Brust schlug. Er konnte die Füße nicht bewegen.
    »Ich will nicht mehr leben«, sagte Gómez ruhig. »Einer von euch muß mich umbringen.«
    Martínez tat schlurfend einen Schritt, blickte hinunter und befahl seinen Füßen zu gehen, wenigstens zu stolpern, einer dem anderen zu folgen. Er stieß mit den Freunden zusammen. Jetzt liefen sie alle und überquerten irgendwie eine Straße wie einen tiefen Fluß, den sie durchwaten mußten, und sahen dann auf Vamenos nieder.
    »Vamenos!« sagte Martínez. »Du lebst!«
    Vamenos lag auf dem Rücken, mit offenem Mund, die Augen fest geschlossen, und bewegte stöhnend den Kopf hin und her.
    »Sagt mir, oh, sagt mir bloß…«
    »Was sollen wir dir sagen, Vamenos?«
    Vamenos ballte die Fäuste und knirschte mit den Zähnen.
    »Der Anzug, was habe ich mit dem Anzug gemacht?«
    Die Männer kauerten sich tiefer.
    »Vamenos, der ist… ja, der ist okay!«
    »Ihr lügt!« sagte Vamenos. »Er ist zerrissen, er muß zerrissen sein, überall, auch unter mir.«
    »Nein.« Martínez kniete nieder und betastete ihn. »Vamenos, er ist heil, rundherum, und sogar unter dir.«
    Vamenos öffnete die Augen, um endlich den Tränen freien Lauf zu lassen. »Ein Wunder«, schluchzte er, »gepriesen seien die Heiligen!« Er beruhigte sich schließlich. »Der Wagen?«
    »Hat dich angefahren und ist abgehauen.« Gómez besann sich plötzlich und glotzte auf die leere Straße. »Gut, daß er nicht angehalten hat. Wir hätten…«
    Sie horchten.
    In der Ferne heulte eine Sirene.
    »Jemand hat einen Unfallwagen gerufen.«
    »Schnell!« sagte Vamenos mit rollenden Augen. »Richtet mich auf! Zieht euer Jackett aus!«
    »Vamenos…«
    »Still, ihr Idioten!« schrie Vamenos. »Die Jacke, ja, so! Jetzt die Hosen, die Hosen, schnell, peones! Diese Ärzte! Habt ihr’s etwa nicht im Kino gesehen? Sie reißen einem die Hosen mit Rasierklingen auf. Denen ist alles egal! Die sind wie besessen! Ach Gott, schnell, schnell!«
    Die Sirene heulte.
    Die Männer machten sich aufgeregt um Vamenos zu schaffen.
    »Rechtes Bein, los, beeilt euch, ihr Ochsen! Gut! Jetzt das linke, hört ihr, nun macht schon! O Gott, au! Schnell, Martínez, deine Hosen, zieh sie aus!«
    »Was?« Martínez erstarrte.
    Die Sirene heulte wieder.
    »Dummkopf!« wimmerte Vamenos. »Sonst ist alles verloren. Deine Hosen, gib sie mir!«
    Martínez riß an seiner Gürtelschnalle.
    »Rückt näher, stellt euch im Kreis auf!«
    Eine dunkle Hose, eine helle Hose sausten durch die Luft.
    »Schnell, hier kommen die Besessenen mit den Rasierklingen! Rechtes Bein, linkes Bein, da!«
    »Der Reißverschluß, ihr Ochsen, macht den Reißverschluß zu!« stammelte Vamenos.
    Die Sirene verstummte.
    »Madre mía, ja, gerade noch rechtzeitig! Sie kommen.« Vamenos legte sich zurück und schloß die Augen. »Gradas.«
    Martínez drehte sich um und schnürte gleichgültig seinen Gürtel, als die Ärzte vom Unfallkrankenhaus vorbeisausten.
    »Beinbruch«, sagte einer der Ärzte, als sie Vamenos auf die Bahre hoben.
    »Compadres«, sagte Vamenos, »seid mir nicht böse.«
    Gómez schnaubte. »Wer ist denn böse?«
    Im Unfallwagen stotterte Vamenos, der den Kopf zurückgebogen hatte und zu ihnen hinaussah: »Compadres… wenn… wenn ich aus dem Krankenhaus komme… gehör ich dann noch zur Bande? Werdet ihr mich auch nicht verstoßen? Schaut, ich gebe das Rauchen auf, ich gehe nicht mehr zu Murillo, ich laß die Frauen…«
    »Vamenos«, mahnte Martínez sanft. »Versprich lieber nichts.«
    Vamenos, ausgestreckt, mit nassen Augen, betrachtete Martínez weiße Gestalt vor den Sternen.
    »Martínez, du siehst wirklich famos aus in dem Anzug. Compadres, sieht er nicht großartig aus!«
    Villanazul stieg neben Vamenos ein. Die Tür wurde zugeschlagen. Die vier Zurückbleibenden blickten dem Wagen nach.
    Dann nahmen die Freunde Martínez im weißen Anzug in die Mitte und begleiteten ihn vorsichtig zum

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