Medizin für Melancholie
machen?«
»Weiter unsere Arbeit tun, natürlich. Ernten und Kinder großziehen. Warten. Durchhalten, bis der Krieg zu Ende ist und die Raumschiffe wiederkommen.«
Die beiden Jungen erschienen auf der Veranda.
»Kinder«, sagte der Vater und blickte über sie hinweg. »Ich muß euch etwas sagen.«
»Wir wissen es schon«, sagten sie.
In den nächsten Tagen wanderte Bittering oft durch den Garten und stand dort in seiner Furcht allein. Solange die Raumschiffe noch ein silbernes Netz über den Weltraum webten, hatte er sich mit dem Mars abfinden können. Denn er hatte sich stets gesagt: Morgen kann ich mir eine Fahrkarte kaufen, wenn ich will, und zur Erde zurückkehren.
Aber jetzt war das Netz nicht mehr da, und die Raumschiffe lagen irgendwo, auseinandergeborsten, Haufen von geschmolzenen Trägern und aufgerolltem Draht. Die Erdenbewohner waren dem fremden Mars ausgeliefert, dem Zimtstaub und den Weinlüften, die Marssommer würden sie backen wie Ingwerbrot, und die Marswinter würden sie mit der Ernte speichern. Was würde aus ihnen und den anderen werden? Auf diesen Augenblick hatte der Mars gewartet. Jetzt würde er sie verschlingen.
Mr. Bittering kniete, mit einem Spaten in den nervösen Händen, an einem Blumenbeet nieder. Arbeite, dachte er. Arbeite und vergiß.
Er blickte zu den Marsbergen empor. Er dachte an die stolzen alten Marsnamen, die jene Gipfel einst getragen hatten. Vom Himmel gefallene Menschen hatten auf die Hügel, die Flüsse, die Meere des Mars geblickt, die trotz ihrer Namen namenlos geblieben waren. Einst hatten die Marsbewohner hier Städte gebaut und ihnen Namen gegeben; sie hatten Berge bestiegen, Meere befahren und ihnen Namen gegeben. Die Berge schmolzen, die Meere trockneten aus, die Städte stürzten ein. Dennoch beschlich die Erdenbewohner ein geheimes Schuldgefühl, wenn sie diesen alten Hügeln und Tälern neue Namen gaben. Aber der Mensch lebt nun einmal von Symbolen und Bezeichnungen.
Mr. Bittering fühlte sich in seinem Garten unter der Marssonne furchtbar verlassen, ein gebeugter Anachronismus, der Blumen von der Erde in einen wilden Boden pflanzte.
Denk nach. Denk immerzu. Alles mögliche. Vergiß die Erde, den Atomkrieg, die verlorenen Raumschiffe.
Er schwitzte. Er blickte sich um, niemand beobachtete ihn. Er nahm seine Krawatte ab. Ziemlich kühn, dachte er. Erst legst du das Jackett ab, dann die Krawatte. Er hängte sie säuberlich auf einen Pfirsichbaum, den er als Sprößling aus Massachusetts mitgebracht hatte.
Er kehrte wieder zu seiner Philosophie der Namen und Berge zurück. Die Erdleute hatten die Namen geändert. Jetzt gab es auf dem Mars Hormel-Täler, Roosevelt-Meere, Ford-Hügel, Vanderbilt-Plateaus, Rockefeller-Flüsse. Das war nicht recht. Die amerikanischen Siedler waren klüger vorgegangen, sie hatte alte indianische Prärienamen übernommen: Wisconsin, Minnesota, Idaho, Ohio, Utah, Milwaukee, Osseo. Alte Namen, alte Bedeutungen.
Er spähte unruhig zu den Bergen hinüber und dachte: Seid ihr dort oben? All die Toten, die Marsmenschen? Nun, wir sind allein hier, abgeschnitten! Kommt herunter und vertreibt uns! Wir sind hilflos!
Der Wind blies einen Schauer von Pfirsichblüten herab.
Er streckte seine sonnengebräunte Hand aus und schrie leise auf.
Er berührte die Blüten, hob sie auf, drehte sie um. Er berührte sie wieder und wieder. Dann rief er nach seiner Frau.
»Cora!«
Sie erschien am Fenster. Er lief zu ihr hinüber.
»Cora, schau dir diese Blüten an!«
Sie nahm sie in die Hand.
»Siehst du? Es sind nicht mehr dieselben! Sie haben sich verändert! Es sind keine Pfirsichblüten mehr!«
»Ich finde sie ganz in Ordnung«, antwortete Cora.
»Sind sie aber nicht. Sie sind falsch! Ich weiß nicht mal, wie. Ein Blütenblatt, ein Blatt mehr, die Farbe, der Geruch!«
Die Kinder kamen heraus und sahen ihren Vater im Garten herumlaufen und Radieschen, Zwiebeln und Karotten aus den Beeten ziehen.
»Cora, komm her und schau!«
Sie reichten die Zwiebeln, Radieschen und Karotten von einem zum andern.
»Sehen sie etwa wie Karotten aus?«
»Ja… nein.« Cora zögerte. »Ich weiß nicht.«
»Sie haben sich verändert.«
»Vielleicht.«
»Du weißt, daß sie sich verändert haben! Zwiebeln und doch keine Zwiebeln, Karotten und doch keine Karotten. Der Geschmack genauso und dennoch anders. Der Geruch: nicht, wie er früher war.« Er spürte, wie sein Herz heftiger schlug, und er hatte Angst. Er grub mit den Fingern in der Erde.
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