Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Medizin für Melancholie

Medizin für Melancholie

Titel: Medizin für Melancholie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
Vom Netzwerk:
Mittagszeit, Harry«, sagten sie.
    Seine Frau erschien mit einem Korb am Arm, in dem sie ihm das Mittagessen brachte.
    »Das rühre ich nicht an«, sagte er. »Ich esse nur, was aus unserer Tiefkühltruhe kommt. Speisen, die noch von der Erde stammen. Nichts aus unserem Garten.«
    Seine Frau blickte ihn forschend an. »Du kannst kein Raumschiff bauen.«
    »Ich habe früher, als ich zwanzig war, in einer Werkstatt gearbeitet. Mit Metall kenne ich mich aus. Wenn ich erst mal den Anfang mache, werden die anderen mir schon helfen«, sagte er, ohne Cora anzusehen, und breitete die Skizzen aus.
    »Bitte, Harry«, sagte sie hilflos.
    »Wir müssen fort von hier, Cora. Wir müssen fort!«
     
     
    Die Nächte waren voll Wind, er blies von den kahlen, mondbeschienenen Wiesen hinter den kleinen weißen, schachbrettartigen Städten herab, die nun schon seit zwölftausend Jahren in ihren Mulden lagen. In der Siedlung der Erdleute bebte das Haus im Vorgefühl der Veränderungen.
    Mr. Bittering lag im Bett und spürte, wie seine Knochen sich dehnten, sich verformten und schmolzen wie Gold. Seine Frau war im Lauf der vielen sonnigen Nachmittage dunkel geworden. Dunkel war sie und goldäugig, fast schwarz gebrannt von der Sonne schlief sie neben ihm. Die Kinder lagen metallfarben in ihren Betten, und der Wind fuhr dröhnend, einsam und umgestaltend durch die alten Pfirsichbäume, das violette Gras und schüttelte die grünen Blütenblätter der Rosen herab.
    Die Angst war unbezwingbar. Sie packte seine Kehle und sein Herz. Sie tropfte feucht unter seinen Armen, an seinen Schläfen und an den zitternden Händen.
    Im Osten stieg ein grüner Stern empor.
    Ein seltsames Wort kam Mr. Bittering über die Lippen.
    »Iorrt. Iorrt.« Er wiederholte es.
    Es war ein martianisches Wort. Er hatte diese Sprache nicht gelernt.
    Mitten in der Nacht stand er auf und rief den Archäologen Simpson an.
    »Simpson, was bedeutet das Wort Iorrt?«
    »Das ist das alte martianische Wort für unseren Planeten, die Erde. Warum?«
    »Ich frage nur so.«
    Der Hörer glitt ihm aus der Hand.
    »Hallo, hallo, hallo«, hörte er, während er dasaß und den grünen Stern anstarrte. »Bittering, Harry, bist du noch da?«
    Die Tage waren erfüllt von metallenen Geräuschen. Er baute das Gerüst des Raumschiffs mit der widerwillig gewährten Hilfe dreier gleichgültiger Männer. Aber schon nach einer Stunde wurde er sehr müde und mußte sich setzen.
    »Das macht die Höhe hier«, sagte einer der Männer lachend.
    »Ißt du denn auch genug, Harry?« fragte ein anderer.
    »Ja, ich esse«, antwortete er ärgerlich.
    »Aus deiner Tiefkühltruhe?«
    »Ja!«
    »Du wirst immer dünner, Harry.«
    »Das ist nicht wahr!«
    »Und größer.«
    »Du lügst!«
     
     
    Wenige Tage später nahm seine Frau ihn beiseite. »Ich habe alle Speisen aus der Kühltruhe verbraucht, Harry. Es ist nichts mehr da. Jetzt muß ich für deine Sandwiches Nahrung vom Mars nehmen.«
    Er setzte sich schwerfällig.
    »Du mußt essen«, sagte sie, »sonst wirst du ganz schwach.«
    »Ja«, sagte er.
    Er nahm ein Sandwich, klappte es auf, untersuchte es und knabberte ein bißchen daran.
    »Und nimm dir den übrigen Tag frei«, sagte sie. »Es ist heiß. Die Kinder wollen in den Kanälen schwimmen und wandern. Bitte, komm doch mit.«
    »Ich habe keine Zeit zu verlieren. Jeder Tag ist entscheidend.«
    »Nur für eine Stunde«, drängte sie. »Das Schwimmen wird dir guttun.«
    Er stand schwitzend auf. »Na schön. Aber laß mich allein. Ich komme nach.«
    »Gut, Harry.«
    Die Sonne brannte, der Tag war still. Grelles Licht lag über dem Land. Sie gingen am Kanal entlang, die Eltern und die Kinder, die in ihren Badeanzügen vorausliefen. Sie machten halt und aßen Schinkensandwiches. Er bemerkte die braungebrannte Haut, die gelben Augen seiner Frau und seiner Kinder, ihre Augen, die nie zuvor gelb gewesen waren. Ein leichtes Beben durchfuhr ihn, aber es verebbte in der wohltuenden Hitze, während er in der Sonne lag. Er war zu müde, um der Furcht Raum zu geben.
    »Cora, seit wann sind deine Augen gelb?«
    »Ich glaube, von jeher«, sagte sie verwundert.
    »Waren sie nicht früher braun und sind erst in den letzten drei Monaten gelb geworden?«
    Sie biß sich auf die Lippen. »Nein, warum fragst du so was?«
    »Schon gut.«
    Sie saßen da.
    »Die Kinder haben auch gelbe Augen«, sagte er.
    »Bei Kindern ändert sich die Augenfarbe manchmal im Wachstumsalter.«
    »Dann sind wir vielleicht auch Kinder,

Weitere Kostenlose Bücher