Medizin für Melancholie
es aus.
»Nein, ich weiß noch, daß ich aufstand. Ich stand auf und sagte zu ihr: ›Was hast du getan?‹, und ich stolperte auf sie zu. Da hing ein Spiegel. Ich sah das tiefe Loch in meinem Kopf, und es blutete. Ich sah aus wie ein Indianer. Sie stand bloß da, meine Frau. Und schließlich schrie sie vor Entsetzen, ließ den Hammer fallen und lief aus der Tür.«
»Sind Sie dann ohnmächtig geworden?«
»Nein, ich bin nicht ohnmächtig geworden. Ich kam irgendwie hinaus auf die Straße und murmelte jemandem zu, daß ich einen Arzt brauchte. Ich stieg in einen Bus, stellen Sie sich vor, einen Bus! Ich löste sogar noch eine Fahrkarte! Und ich sagte, man solle mich vor dem Haus eines Arztes in der Innenstadt absetzen. Ich kann Ihnen sagen, alle Leute schrien. Da wurde mir schwach, und dann weiß ich nur, daß der Arzt sich an meinem Kopf zu schaffen machte und das Loch säuberte wie einen Fingerhut, wie ein Spundloch in einem Faß…«
Er hob die Hand, berührte den Fleck, und seine Finger strichen darüber wie die Zunge über eine leere Stelle, wo einst ein schöner Zahn war.
»Eine saubere Arbeit. Der Arzt starrte mich so an, als erwarte er, daß ich in der nächsten Minute umfallen würde.«
»Wie lange blieben Sie im Krankenhaus?«
»Zwei Tage. Dann war ich wieder auf und ging herum, aber ich fühlte mich weder besser noch schlechter. Inzwischen hatte meine Frau sich davongemacht.«
»O mein Gott, mein Gott«, sagte Miss Fremwell und faßte sich mühsam. »Mein Herz klopft wie ein Schneebesen. Ich höre, fühle und sehe alles vor mir, Mister Lemon. Warum, oh, warum hat sie das bloß getan?«
»Ich sagte Ihnen schon, aus keinem ersichtlichen Grund. Es war ihr einfach so eingefallen, nehme ich an.«
»Aber Sie müssen sich doch gestritten haben?«
Blut dröhnte in Mr. Lemons Wangen. Er fühlte, daß die Stelle da oben an seinem Kopf glühte wie ein flammender Krater. »Wir hatten uns nicht gestritten. Ich saß da, ganz ruhig. Ich sitze gern nachmittags so da, die Schuhe ausgezogen, das Hemd aufgeknöpft.«
»Kannten Sie – kannten Sie irgendeine andere Frau?«
»Nein, nie, keine einzige!«
»Hatten Sie vielleicht… getrunken?«
»Nur ein Schlückchen von Zeit zu Zeit, Sie wissen ja, wie das ist.«
»Spielten Sie?«
»Nein, nein, nein!«
»Aber einfach so ein Loch in den Kopf zu schlagen, Mister Lemon, du liebe Zeit! Und ohne Grund!«
»Ihr Frauen seid doch alle gleich. Sie hören etwas, und gleich vermuten sie das Schlimmste. Ich sage Ihnen, es gab keinen Grund. Ihr war nun einmal der Hammer eingefallen.«
»Was sagte sie, bevor sie losschlug?«
»Nur: ›Wach auf, Andrew‹.«
»Nein, davor.«
»Nichts. Jedenfalls eine halbe oder eine Stunde lang nichts. Oh, sie sagte irgend etwas davon, daß sie einkaufen gehen wollte, aber ich sagte, es sei zu heiß. Ich mußte mich hinlegen, ich fühlte mich nicht so gut. Ihr paßte das gar nicht, daß ich mich so fühlte. Da muß sie wütend geworden sein, und dann hat sie wohl eine Stunde lang darüber nachgedacht und den Hammer genommen und ist hereingekommen und verrückt geworden. Ich glaube, das Wetter hat ihr auch zugesetzt.«
Miss Fremwell lehnte sich nachdenklich im Schatten des Gitters zurück; ihre Brauen zogen sich langsam in die Höhe und senkten sich wieder.
»Wie lange waren Sie mit ihr verheiratet?«
»Ein Jahr. Ich erinnere mich noch, daß wir im Juli heirateten und daß ich noch im Juli krank wurde.«
»Krank?«
»Ich war kein sehr gesunder Mann. Ich arbeitete in einer Garage. Dann bekam ich diese Rückenschmerzen, so daß ich nicht mehr arbeiten konnte und mich nachmittags hinlegen mußte. Ellie arbeitete in der First National Bank.«
»Ich verstehe«, sagte Miss Fremwell.
»Was?«
»Nichts.«
»Ich bin ein verträglicher Mann. Ich rede nicht zuviel. Ich bin nachgiebig und ruhig. Ich verschwende kein Geld. Ich bin sparsam. Das mußte selbst Ellie zugeben. Ich bin nicht streitsüchtig. Ja, manchmal schimpfte Ellie auf mich, sie schimpfte, als schlüge man einen Ball hart gegen eine Hauswand, aber ich schimpfte nicht zurück. Ich saß bloß da. Ich nahm es mir nicht zu Herzen. Wozu soll man sich immer aufregen und reden, nicht wahr?«
Miss Fremwell betrachtete Mr. Lemons Stirn im Mondschein. Ihre Lippen bewegten sich, aber er konnte nicht verstehen, was sie sagten.
Plötzlich richtete sie sich auf, holte tief Atem, blickte sich überrascht um und bemerkte wieder die Welt hinter den Gittern der Veranda. Die Verkehrsgeräusche
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