Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Medizin für Melancholie

Medizin für Melancholie

Titel: Medizin für Melancholie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
Vom Netzwerk:
zumindest für den Mars. Das ist eine Idee.« Er lachte. »Ich gehe jetzt schwimmen.«
    Sie sprangen in den Kanal, und er ließ sich auf den Grund hinabsinken wie eine goldene Statue und lag dort in grüner Stille. Das Wasser war tief und ruhig. Er spürte, wie die gleichmäßige Strömung ihn dahintrieb.
    Wenn ich hier lange genug liegenbleibe, dachte er, wird das Wasser arbeiten und mein Fleisch aufzehren, bis die Knochen wie Korallen hervortreten und nur mein Skelett übrigbleibt. Und dann kann das Wasser auf dem Skelett bauen – Gebilde aus den Tiefen, grüne, rote und gelbe Gebilde. Veränderungen. Langsame, tiefe, stille Veränderungen. Ist das nicht genau das gleiche wie dort oben?
    Er sah den überschwemmten Himmel über sich und die Sonne, die durch die Atmosphäre, durch Zeit und Raum ganz martianisch geworden war.
    Dort oben ein mächtiger Fluß, dachte er, ein martianischer Fluß, wir alle liegen tief darin, in unseren Häusern aus Kieselsteinen, wie verborgene Flußkrebse, und das Wasser spült unsere alten Körper fort, zieht die Knochen in die Länge und…
    Er ließ sich durch das milde Licht hinauftreiben.
    Dan saß am Kanalufer und blickte seinen Vater ernst an.
    »Utha«, sagte er.
    »Was?« fragte der Vater.
    Der Junge lächelte. »Du weißt doch, Utha ist das martianische Wort für ›Vater‹.«
    »Wo hast du das gelernt?«
    »Weiß ich nicht. Irgendwo. Utha!«
    »Was möchtest du?«
    Der Knabe zögerte. »Ich… ich möchte meinen Namen ändern.«
    »Deinen Namen ändern?«
    »Ja.«
    Die Mutter schwamm heran. »Wieso? Paßt dir der Name Dan nicht mehr?«
    Dan wurde unruhig. »Neulich riefst du Dan, Dan, Dan. Ich hörte nicht einmal darauf. Ich sagte mir, das ist kein Name. Ich habe einen neuen Namen, den will ich gebrauchen.«
    Mr. Bittering hielt sich am Ufer fest. Ihm war kalt, und sein Herz klopfte mühsam. »Wie heißt der neue Name?«
    »Linnl. Ist das nicht ein schöner Name? Darf ich mich bitte so nennen?«
    Mr. Bittering bedeckte die Stirn mit der Hand. Er dachte an das lächerliche Raumschiff, an dem er allein arbeiten mußte, und selbst in seiner Familie war er allein, ganz allein.
    Er hörte, wie seine Frau sagte: »Warum eigentlich nicht?«
    Er hörte, wie er selbst sagte: »Ja, du darfst dich so nennen.«
    »Jaaah!« schrie der Junge. »Ich bin Linnl, Linnl!«
    Er rannte tanzend und schreiend die Wiese hinunter.
    Mr. Bittering sah seine Frau an. »Warum haben wir das getan?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Ich hielt es einfach für eine gute Idee.«
    Sie gingen zu den Hügeln hinauf und schlenderten über alte, mosaikgeschmückte Pfade neben Brunnen, die immer noch funktionierten. Die Wege waren den ganzen Sommer lang mit einer dünnen Schicht kühlen Wassers bedeckt. So konnte man sich die nackten Füße kühlen und watete spritzend wie durch einen Bach.
    Sie kamen an eine kleine verlassene Marsvilla mit einem weiten Blick über das Tal. Sie lag hoch oben auf einem Hügel. Blaue Marmorflure, große Wandgemälde, ein Schwimmbad. Das alles war in dieser heißen Jahreszeit sehr erfrischend. Die Marsleute hatten für große Städte wohl nichts übrig gehabt.
    »Wie schön wäre das«, sagte Mrs. Bittering, »wenn wir den Sommer über hier herauf in diese Villa ziehen könnten.«
    »Komm zurück zur Stadt«, antwortete er. »Ich habe an dem Raumschiff zu tun.«
    Aber während der Arbeit am gleichen Abend fiel ihm die kühle blaue Marmorvilla wieder ein. Stunden vergingen, und das Raumschiff wurde immer unwichtiger.
    In Verlauf von Tagen und Wochen versank das Raumschiff immer mehr im Hintergrund. Der alte Eifer war erloschen. Der Gedanke, daß er es so weit hatte kommen lassen, erschreckte ihn. Aber irgendwie hatten die Hitze, die Luft, die Arbeitsbedingungen…
    Er hörte die Männer auf der Veranda vor der Metallwerkstatt murmeln.
    »Alle Leute fahren weg. Habt ihr’s gehört?«
    »Ja, alle. Ich weiß.«
    Bittering ging hinaus. »Wohin fahren sie?« Er sah zwei mit Kindern und Möbeln beladene Lastwagen auf der staubigen Straße.
    »Hinauf zu den Villen«, antwortete der Mann.
    »Tja, Harry, ich fahre auch, Sam ebenfalls. Nicht wahr, Sam?«
    »Ja. Und du, Harry?«
    »Ich habe hier meine Arbeit.«
    »Arbeit! Du kannst das Raumschiff doch im Herbst weiterbauen, dann ist es kühler.«
    Er seufzte. »Das Gerüst habe ich fertig.«
    »Im Herbst geht’s besser.« Ihre Stimmen kamen träge durch die Hitze.
    »Ich muß arbeiten«, wiederholte er.
    »Im Herbst«, erklärten sie. Und

Weitere Kostenlose Bücher