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Medusa

Medusa

Titel: Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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des Dorfes zu schlafen. Dieses Motiv ist auch aus der griechischen Mythologie hinreichend bekannt.«
    »Schön, dass endlich mal jemandem auffällt, dass die Griechen Nachfahren der Götter sind«, sagte Gregori. Hannah erhob ihre Stimme über das allgemeine Gelächter. »Danke, Albert. Das ist die geläufige Deutung dieser Figuren. Aber was sagt ihr zu diesen Gestalten?« Sie zeigte auf Kreaturen, die nur noch mit viel Fantasie als menschlich zu bezeichnen waren. Arme und Beine suchte man vergebens. Dafür gab es einen überdimensionalen Kopf mit schlangenartigen Auswüchsen, auf dessen Stirn ein einziges Auge prangte. »Welches Tier oder welchen Gott soll das darstellen? Um es gleich vorwegzunehmen, ich kann es euch auch nicht sagen. Aber eines ist sicher. Diese Darstellungen sind noch älter als die Tiergravuren. Sie stammen aus der frühesten Phase menschlichen Schaffens. Laut bisheriger Forschung beginnt die Felsbildkunst der Sahara schlagartig vor etwa elftausend Jahren. Es gibt kein einleitendes Stadium und keinerlei Anzeichen dafür, dass irgendwo geübt wurde, kein Experimentieren mit Materialien oder Stilen, nichts. Die Bilder treten sozusagen von heute auf morgen auf. Und sie sind gleich von Anfang an perfekt. Die Proportionen, die Bewegungen, alles stimmt. Hinzu kommt ein künstlerischer Ausdruck, der einem Picasso zur Ehre gereicht hätte, nicht war?« Sie machte einen Augenblick Pause, um dann die Frage zu stellen, die wahrscheinlich allen im Kopf herumging. »Wie konnte so etwas geschehen? Woher kam diese plötzliche Revolution künstlerischen Schaffens?« Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Keine Ahnung? Hm? Ich will es euch sagen. Es gibt zwei Möglichkeiten. Erstens, wir haben es mit einer Völkerwanderung von Künstlern zu tun, die irgendwo aus dem Süden gekommen sind. Genaueres weiß man aber nicht, es gibt keine Belege dafür. Zweitens …«, sie machte eine rhetorische Pause, »… die Ureinwohner sind mit einem Schlag zu Künstlern geworden.«
    Ihre Mutmaßungen ernteten ungläubige Blicke und verlegenes Hüsteln. Irene war die Erste, die sich traute, etwas zu sagen.
    »Ein göttlicher Funke?« Ihre Stimme klang zweifelnd. »Tut mir Leid, aber das klingt in meinen Ohren zu sehr nach Aberglaube.« Sie fuhr mit ihrem Finger durch eine Rille im Fels. »Die Frage ist doch: Woher stammt diese Perfektion? Ehrlich gesagt, da klingt die Geschichte mit der Völkerwanderung glaubwürdiger.«
    »Es muss ja nicht gleich ein göttlicher Funke im Spiel sein«, konterte Hannah. »Oft genügt ein einschneidendes Erlebnis, um einen Menschen zu verändern. Um aus ihm einen Künstler zu machen. Möglicherweise ist etwas geschehen, das all diese Menschen verändert hat. Aber ich möchte nicht spekulieren.«
    »Trotzdem: Was soll das für ein Erlebnis gewesen sein?«, fragte Chris. »Etwa ein Raumschiff, das vom Himmel herabschwebte?«
    »Vielleicht liefern uns die Medusenköpfe eine Antwort, die wir bisher in allen Epochen gefunden haben«, antwortete Hannah.
    »Das sind doch höchstwahrscheinlich nur Masken.« Chris starrte auf die Figuren. Aus irgendeinem Grund verursachten ihm die verdrehten Leiber körperliches Unbehagen. »Diese schlangenartigen Auswüchse könnten Federn oder Hörner sein. Auf jeden Fall sind sie ein Produkt der Fantasie.«
    »Bist du dir da so sicher?« Hannah sah ihn mit einem Blick an, der verriet, dass sie auf diesen Einwand nur gewartet hatte.
    »Bisher war man immer der Meinung, dass es keine älteren Darstellungen als die der Bubalusperiode gibt. Ich möchte euch jetzt etwas zeigen, das die Fachwelt auf den Kopf stellen wird. Es gibt ältere Darstellungen, und sie sind hier. Folgt mir bitte zu Abschnitt drei, dem hintersten Teil der Schlucht.«
    Jetzt kommt es, dachte Chris. Jetzt kommt das große Geheimnis, von dem Stromberg gesprochen hatte. Der Grund, warum er hier war.
    Sie betraten einen schmalen Gang. Das Licht war trüb, da die Felswände über ihnen sich beinahe berührten. Chris’ erster Gedanke war, die Taschenlampe, die er immer bei sich trug, hervorzuholen, doch seine Augen gewöhnten sich bald an das Dämmerlicht. Immer mehr schloss sich der Gang über ihren Köpfen, so dass Albert mit seinem hoch gewachsenen Körper gebeugt gehen musste. Glücklicherweise öffnete sich der Durchgang bald wieder. Die Wände rückten auseinander, und was sie dort zu Gesicht bekamen, überstieg alles, was sie bisher gesehen hatten. Wortlos scharte sich die Gruppe um einen Gegenstand,

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