Medusa
befand sich bereits seit einer halben Stunde am Drehort und verfolgte die Vorbereitungen mit großer Neugier. Zwei Tage waren seit der Ankunft des Teams vergangen, und heute würde zum ersten Mal gedreht werden. Sie hatte noch nie an einem Film mitgewirkt, für sie war das alles neu und aufregend. Schon vor Tagesanbruch hatten Malcolm, Patrick und Albert an der besprochenen Stelle Kamera, Beleuchtung und Tonequipment aufgebaut, um die Sequenz an den Rundkopf-Felsen zu drehen. Hannah blickte verwundert auf das viele technische Gerät, das nötig war, um eine einzige Einstellung zu drehen. Patrick, der den Scheinwerfer neu justiert hatte, schlenderte in seinen ausgebeulten Khakis auf sie zu. »Aufgeregt?«
»Und ob«, erwiderte sie. »Das ist das erste Mal, dass ich vor einer Kamera stehe. Ich werde sicher total steif aussehen.«
»Quatsch. Das wird ein Kinderspiel. Und ein bisschen Lampenfieber hat noch niemandem geschadet. Sieh dir Irene an. Sie macht das jetzt schon seit zehn Jahren und hat immer noch die Angewohnheit, erst im letzten Moment aufzukreuzen. Wenn du mich fragst, ist das nichts anderes als Lampenfieber.«
Hannah versuchte sich auf andere Gedanken zu bringen und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Technik zu. »Wozu dieser Aufwand? Ich habe immer geglaubt, eine gute Videokamera genügt, um einen Dokumentarfilm zu drehen.«
Patrick bot Hannah eine Zigarette an. Als sie ablehnte, zuckte er mit den Schultern und steckte sich selbst eine an. »Ein weit verbreitetes Vorurteil. Die Leute denken, man braucht nur eine schöne Location, hält die Kamera drauf und fertig. Aber bei einem solchen Projekt kann man Video vergessen. Wir drehen noch mit richtigem Filmmaterial auf fünfunddreißig Millimetern. Malcolm schwört auf seine alte Arriflex, eine unverwüstlichen Kamera. Wir packen die unbelichteten Filmrollen in die Kühlbox und ziehen, wenn wir wieder zu Hause sind, ein Master. Davon kann man Videos oder DVDs produzieren, man kann den Film im digitalen Fernsehen zeigen oder sogar im Kino. Eine Art Videokamera haben wir trotzdem. Siehst du den silbernen Kasten seitlich an der Filmkamera? Das Bild wird ausgespiegelt und auf ein zusätzliches Videotape aufgenommen, für die Dailies. Das sind die Aufnahmen des jeweiligen Tages. Wenn da etwas nicht stimmt, zum Beispiel wenn ein Mikrofon im Bild hängt, können wir die Aufnahme gleich am nächsten Tag wiederholen. Und wenn alle Stricke reißen, hat Malcolm ja noch seine kleine digitale Canon, von der er sich nie trennt. Ich glaube, er nimmt sie sogar mit ins Bett.«
Irene hatte nicht übertrieben. Dieser Typ war wirklich ein Freak. Wie jemand sich so für Technik begeistern konnte, war Hannah ein Rätsel. Und doch mochte sie diesen dünnbeinigen Jungen. Er war noch nicht so abgeklärt wie der Rest des Teams. Bei ihm sprühten Begeisterungsfähigkeit und Neugier aus jedem Knopfloch. Während sie Patrick aus dem Augenwinkel heraus beobachtete, plapperte dieser weiter wie ein Wasserfall.
»Gerade bei einem Drehort wie diesem muss man enorm viele Vorbereitungen treffen. Wusstest du, dass man an einem sonnigen Tag viel mehr Scheinwerfer braucht, als an einem bedeckten? Sonnenlicht macht die Kontraste härter, und man muss Gegenlichter oder Reflektoren aufstellen, um sie wieder weicher zu machen. Die Schattenbereiche werden sonst pechschwarz. Erinnere dich mal an Lawrence von Arabien, und jetzt stell dir die Dreharbeiten vor. Auf der einen Seite die brennende Sonne, auf der anderen Dutzende von Scheinwerfern. Für die Schauspieler ist das härter als ein Triathlon. Der Ton ist auch ein Problem. An einem solchen Ort den Hall herauszufiltern, schafft nur ein echtes Genie. Aber bei Albert würde sogar ein Konzert im Petersdom so klingen, als sei es im Tonstudio aufgenommen. Vorausgesetzt, jemand würde das wollen. Aber ich rede und rede, und dabei habe ich das Wichtigste ganz vergessen.« Er blickte sie mit einem beinahe schüchternen Lächeln an. »Ich möchte dir dafür danken, dass wir hier sein dürfen. Es ist wirklich ein ganz besonderer Ort.«
Hannah hob abwehrend die Hände. »Oh, da solltest du deinem Auftraggeber, der National Geographic Society danken. Ich hatte damit herzlich wenig zu tun.«
»Aber es ist dein Fund. Ohne dich wären wir nicht hier. Außerdem habe ich dieses dumpfe Gefühl, dass es hier noch viel mehr zu entdecken gibt.«
»Wie kommst du denn darauf?« Hannah war überrascht, dass sie nicht die Einzige zu sein schien, die so
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