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Medusa

Medusa

Titel: Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Mittelmeerraums. Und jetzt ratet mal, für welche Art von Darstellungen sie berühmt war.«
    Irene starrte ihn an. »Medusen?«
    »Genau. Die Stadt wurde 1921 von ihren meterdicken Sandschichten befreit und 1951 wieder aufgebaut. Praktisch überall fanden sich Medusenköpfe. Hunderte. Das ganze Forum war gesäumt davon.« Chris verschwieg, dass Norman Strombergs Vater den Wiederaufbau in die Wege geleitet hatte.
    »Die Medusa ist eine der ältesten mythischen Gestalten. Ursprünglich war sie ein Wassersymbol. Später fügten die Griechen sie in ihre eigene Welt aus Göttern und Halbgöttern ein, und zwar als eine der Gorgonen. Drei Schwestern, die so schrecklich anzusehen waren, dass allein ihr Blick einen Menschen in Stein verwandeln konnte. Einzig die Medusa war sterblich, weswegen Perseus ihr den Kopf abschlug.«
    Hannah grinste. »Ja, es war keine gute Zeit, um als Ungeheuer durchs Leben zu gehen. Aber Zufall oder nicht, du hast etwas erwähnt, was uns weiterführen könnte. Ich wusste nämlich nicht, dass die Medusa ein Wassersymbol war.«
    »Oh, doch. Nimm zum Beispiel die große unterirdische Zisterne von Istanbul. Bewacht wird dieser uralte Wasserspeicher von einem gigantischen Medusenkopf. Auch die Schlange wird in vielen Kulturen als Flusssymbol verehrt.«
    »Das ist in der Tat erstaunlich. Es gibt hier nämlich noch mehr zu sehen. Wenn ihr den Sockel genauer betrachtet, könnt ihr erkennen, dass er mit feinen Linien überzogen ist. Ich glaube, es sind Schriftzeichen. Ich habe schon versucht, sie zu entziffern, aber die Verwitterung ist zu weit fortgeschritten. Alles, was ich erkennen konnte, war das hier.« Hannah kniete neben der Steinsäule nieder und ließ ihre Finger über die Gravuren gleiten.
    Chris, der ihr am nächsten stand, konnte erkennen, dass die gesamte Fläche unterhalb der Skulptur bearbeitet worden war. Was er zunächst für eine natürliche Felsstruktur gehalten hatte, war in Wirklichkeit ein Netzwerk von Mustern und Zeichen. Sie waren so unscheinbar, dass er sie ohne den Hinweis nicht entdeckt hätte. Er erkannte Wellenlinien und kleine Menschen, die zu schwimmen schienen.
    »Wasser.« Er griff in die Tasche seiner Weste, holte die Lampe hervor und schaltete sie ein. Dann kniete er sich neben Hannah und beleuchtete die Inschriften von der Seite. Durch den Lichteinfall traten die Bilder hervor.
    »Seht euch das an«, hauchte Irene. »Hieroglyphen!«
    »Nie im Leben.« Albert Becks hagere Gestalt beugte sich über Chris. »Ich kenne mich mit ägyptischen Schriftzeichen ganz gut aus, doch das hier ist etwas anderes. Vielleicht ein Vorläufer der ägyptischen Schrift, das will ich nicht bestreiten, aber völlig fremdartig. Hieroglyphen sind unterteilt in phonetische Zeichen, Wortzeichen und Deutzeichen. Hier kann ich diese Gliederung nicht erkennen. Vielleicht eine reine Bildsprache. Nur lesen kann ich sie leider nicht.« Er richtete sich auf. »Vielleicht werden wir nie verstehen, was dort steht, aber wie man es dreht und wendet, der Stein ist eine Sensation.«
    Chris gab ihm in allen Punkten Recht. Doch eines unterschied ihn von Albert. Er konnte einiges von dem entziffern, was auf dem Stein geschrieben stand, und es versetzte ihn in helle Aufregung.

4
    »Irene, wo bleibst du denn? Ich möchte endlich mit dem Drehen beginnen, und das Licht ist gleich weg.« Malcolms Stimme hallte von den Felswänden wider und vermischte sich mit dem Brummen des Stromgenerators, den sie in angemessener Entfernung aufgestellt hatten. Der Aufnahmeleiter hielt prüfend einen Belichtungsmesser an die Felswand. »Patrick, geh mal mit dem Halb-KW etwas weiter nach links. Wir müssen den Bereich dort drüben noch besser ausleuchten. Irene, hör mit der Schminkerei auf und setz deinen Hintern in Bewegung. Uns läuft die Zeit davon!«
    Irene puderte sich gerade die Nase. »Ist ja gut. Mach dir wegen der paar Minuten mal nicht gleich ins Hemd. Notfalls können wir die Aufnahme morgen nachholen. Das Licht ist doch hier jeden Tag gleich.«
    »Es geht nicht um das Licht, sondern um den Zeitplan. Jeder Tag, den wir hier verplempern, kostet zehntausend Dollar, und ich bin unseren Auftraggebern gegenüber verpflichtet, das Budget nicht zu überziehen.«
    Irene bedachte Malcolm mit einem strahlenden Lächeln. »Soll meine Nase etwa glänzen wie eine Speckschwarte? Schau mich an und dann sag mir, was wichtiger ist: dein verdammtes Budget oder mein Aussehen?«
    »Schon gut, schon gut. Aber jetzt beeil dich bitte.«
    Hannah

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