Medusa
Einzige gewesen, der sich bei den Freudenausbrüchen zurückgehalten hatte.
»Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«, fragte Hannah.
»Doch, alles bestens. Ich wollte nur noch ein paar letzte Aufnahmen machen. Wer weiß, ob ich diesen Ort jemals Wiedersehen werde.«
»Das klingt aber düster. Natürlich werden wir hierher zurückkehren. Glaub mir, mit dieser Geschichte werden wir beide berühmt. Ich, weil ich den Ort entdeckt habe, und du, weil du das Rätsel der Medusa gelöst hast.«
»Gelöst?« Chris lachte trocken. »Ich glaube, dass wir noch weit von einer Lösung entfernt sind. Wir haben noch nicht mal an der Oberfläche gekratzt. Es gibt da etwas, was ich den Anwesenden bisher nicht erzählt habe.«
»Und was ist das?«
»Es sind einige Sterne auf dieser Wand verzeichnet, von denen das Medusenvolk nichts gewusst haben kann.«
»Was?« Hannah spürte eine unerklärliche Furcht in sich aufsteigen.
»Weil sie mit normalem Auge nicht auszumachen sind. Sie wurden erst vor wenigen Jahren mit Hilfe modernster Radioteleskope entdeckt.«
»Das ist doch nicht möglich«, flüsterte Hannah. »Bist du dir da ganz sicher?«
Chris nickte. »Hundertprozentig. Ich habe das Astroprogramm zigmal durchlaufen lassen. Da gibt es keinen Zweifel. Ehrlich gesagt, ich bekomme eine Gänsehaut bei dem Gedanken, was uns im Aïr erwarten könnte.«
Hannah warf einen Blick auf die unheimliche Steinskulptur und nickte. Sie spürte, dass er Recht hatte.
6
Zwei Wochen später …
Die Akazien der Oase Iférouane flimmerten unwirklich, als sie im Licht des späten Nachmittags hinter einem Wall aus rund geschliffenen Granitblöcken wie aus dem Nichts auftauchten. Fahrzeug um Fahrzeug kroch aus dem Glutofen der Wüste, der ihnen einen letzten trockenen Schwall heißen Staub hinterherblies. Endlich hatten sie es geschafft. Das Ziel ihrer Reise lag in greifbarer Nähe.
Hannah erinnerte sich nur ungern an die zurückliegenden Tage. Die Fahrt war eine endlose Strapaze gewesen. Vom Tassili N’Ajjer aus hatten sie die Südpiste genommen, in Richtung Assamakka, dem einzigen Grenzübergang zwischen Algerien und dem Niger. Von dort aus war es in südwestlicher Richtung weiter nach Arlit gegangen, dem ehemaligen Zentrum der Uranerzgewinnung. Der Traum vom großen Reichtum, der diesen Ort einst beherrschte, war offenbar genauso schnell zerfallen wie die Farbe am Gebäude der Unterpräfektur, in der sie sich die Genehmigung für die Weiterfahrt nach Agadez holen mussten. Dies war eine der Lektionen, die Hannah und das Team zu lernen hatten. Im Niger funktionierte nichts ohne Genehmigungen und Freigabescheine. Jedes Abweichen von der Straße, und sei es nur, um kurz pinkeln zu gehen, war mit strenger Strafe bedroht. Es sei denn, man konnte eine der eng beschriebenen und mit vielen Stempeln versehenen Genehmigungen vorweisen. Diese umständliche Vorgehensweise war Hannah neu, und sie konnte nicht behaupten, dass sie ihr gefiel.
Schließlich waren sie nach Agadez aufgebrochen, der größten Stadt im Norden des Niger und Sitz der Oberpräfektur der nördlichen Departements. Hannah und Abdu an der Spitze, da sie sich mit den Tücken einer Geröllpiste am besten auskannten. Der mattgelbe Toyota wirkte neben den dunkelblauen Hummer-Wagons klein und unscheinbar, während die Kolonne auf einem Umweg von beinahe tausend Kilometern das Aïr-Gebirge passierend nach Süden zockelte. Er hatte sich während der Fahrt den klobigen Fahrzeugen als weit überlegen erwiesen. Nicht nur, weil er wegen seines geringeren Gewichts weniger anfällig für das Einsinken in Sandwannen war, er erregte auch weit weniger Aufmerksamkeit. Die Hummer-Wagons hatten für einen regelrechten Volksauflauf gesorgt, als sie vor fünf Tagen in Agadez eingetroffen waren. Rund um die Uhr mussten Wachen aufgestellt werden, um den Fahrzeugen das Schicksal zu ersparen, spontan ihren Besitzer zu wechseln. Als sie endlich die Expeditionsfreigabescheine und einen Lkw, beladen mit Proviant und einer bewaffneten Eskorte, erhalten hatten, war Hannah froh gewesen, wieder in die offene Wüste fahren zu dürfen. Sie war die Aufregung und Lautstärke einer größeren Stadt nicht mehr gewohnt – doch was war an Agadez schon groß? Die kasbah , das traditionelle Marktviertel, bestand aus einem zusammengewürfelten Haufen lehmfarbener Häuser, der von dem bizarren, spitzkegeligen Turm einer Moschee überragt wurde. Eingerahmt von Hunderten von Dattelpalmen, glich der Ort einer Insel, an der
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