Meeresblau
unmittelbarer Nähe befand sich eine schmale Sandbank. Ihm war danach, Sonne und Wind auf seiner Haut zu spüren, also gab er seinem Freund ein Zeichen und hielt darauf zu.
Es war eine Ehrerbietung, die Christopher zu schätzen wusste, als Cal das Wasser aus seiner Lunge hustete und Luft zu atmen begann – seit langer Zeit das erste Mal, wie er ihm beiläufig mitteilte. Eine Weile sah er sich schweigend um, betrachtete die von Riffen umgebenen drei Inseln. Wie grüne Edelsteine sahen sie aus, eingefasst von weißem Sand.
„Du wirst gehen“, sagte Cal. Er beobachtete mit großen Augen, wie Christopher seine menschliche Gestalt annahm und sich in der Sonne ausstreckte. „Du willst zurück zu deiner Gefährtin.“
„Ja.“ Es ergab keinen Sinn, über Beschwichtigungen nachzudenken. Die Erinnerung an eine Welt voller Lügen und Missverständnisse war blasser denn je, und für einen Moment zweifelte Christopher, ob es wirklich gut war, zurückzukehren. Er zweifelte sogar daran, dass er es wollte. Was war nur los mit ihm?
„Aber ich komme zurück“, versprach er Cal. „Bis dahin musst du meinen Platz einnehmen und über sie wachen.“
Erst jetzt bemerkte er, wie farbenfroh der Körper seines Freundes war. All die Farbtöne, die das Wasser verschluckte, schillerten nun in der Sonne. Dunkle, netzartige Muster überzogen die Rückenlinie eines Fischleibes, der je nach Lichteinfall in vielfältigen Blautönen opaleszierte. Aquamarinfarben leuchtete die Haut seines Menschenkörpers, petrolgrün und kobaltblau seine Schuppen. Cals Wangen, Hals, Brust und Arme verzierten zarte Streifen, doch nicht silbrig, sondern von blassem Indigo. Jetzt, da er wieder zu Kräften gekommen war, zeigte er die ganze Pracht eines fleischgewordenen Mythos mit dem Gesicht eines Kriegers aus alten Zeiten. Scharf geschnitten, würdevoll und stolz.
„Ich schwöre es beim Salz der See.“ Cal zeigte ein betrübtes Lächeln. „Aber du musst mir versprechen, dass wir dich wiedersehen. Der Weg ist weit und gefährlich. Lieber wäre mir, ich könnte dich begleiten.“
„Du musst hierbleiben“, widersprach Christopher. „Du hast meine Erinnerungen und Gedanken geteilt. Du weißt, was ich weiß, und sie brauchen dich. Ich schwöre dir, dass ich zurückkehre.“
„Du wirst es nicht allein tun.“
„Ich werde jemanden mitbringen. Menschen, die euer Geheimnis kennen und euch niemals verraten würden. Vertraut mir.“
Er spürte Cals Argwohn, doch sein Freund beließ es bei höflichem Schweigen. Eine Weile lagen sie Seite an Seite, halb im Wasser, halb auf dem Sand, ließen den warmen Wind über ihre Haut streicheln und gaben sich ihren Gedanken hin, bis Cal lautlos zurück in das Wasser glitt. Er verabschiedete sich nicht, doch Christopher spürte seine Dankbarkeit und Zuneigung wie einen warmen Hauch in seiner Seele. Es fühlte sich merkwürdig an, seine Aufgabe erfüllt zu haben und nun tun zu können, wonach ihm der Sinn stand.
Er wollte Maya und Jeanne wiedersehen, auch wenn die Erinnerung an seine Heimat erschreckende Blässe zeigte. Er hielt das Gesicht in die Sonne, schloss die Augen und dachte an die Frau, die er liebte. Ihm war, als läge ihre letzte Berührung Jahrhunderte zurück. Seine Hand war zärtlich über ihr Bein gestrichen, weil er mehr Nähe nicht ertragen hätte. Ausgebleichte Bilder und Gefühle gewannen an Farbe, zurückgedrängte Sehnsucht kehrte zurück. Fast glaubte er, Mayas Duft läge ihm in der Nase. Er erinnerte sich an den Strand mit der Fischerhütte und an sein Zimmer im Dachgeschoss. An die Häuser des Dorfes und den rauschenden Strandhafer. Er dachte an Jeannes Stimme, an Mayas warmen Körper und merkwürdigerweise auch den Kamin in der Küche.
Die Sehnsucht überfiel ihn mit aller Heftigkeit.
Christopher sprang auf, hechtete in eine Welle und verwandelte sich noch im Sprung. Niemals war er schneller geschwommen. Während der Wanderung war sein Körper um vieles kräftiger geworden, sodass er einen Tag und eine Nacht lang schwamm und erst im Morgengrauen Erschöpfung verspürte. Er widerstand ihr, bis sein Körper rigoros sein Recht einforderte, fing mit letzter Kraft ein paar Fische und ließ sich im freien Wasser treiben, bis seine Energien wieder aufgefüllt waren. Die gespeicherten Informationen erlaubten eine tadellose Orientierung. In umgekehrter Reihenfolge bewältigte er die ihm nun vertrauten Strömungen und Strudel, die kalten und warmen Bereiche, Magnetlinienflüsse und unterseeischen
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