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Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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zischte der Mann und griff nach seiner Tochter, doch die entwischte seiner zupackenden Hand mit der Flinkheit einer Sardelle. Der Pferdeschwanz des Mädchens schimmerte weißblond, viel heller als Jeannes Haar. Auch war sie jünger und fülliger, mit braunen Augen und farbloser Haut. Ebenso rau und kühl wie das Land, auf dem sie lebte. Und doch erinnerte sie ihn so sehr an seine Schwester, dass eine heiße Klinge das Eis seiner Seele zu durchdringen schien.
    Das Mädchen watete furchtlos durch das Wasser auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. Er berührte sie, umfing sie vorsichtig und spürte, dass sie echt war. Die Wärme der Menschenhaut riss den Schleier von seinen Erinnerungen und zeigte ihm in aller Deutlichkeit, was er verloren hatte. Was er wirklich wollte und wonach er sich verzehrte.
    Die Erkenntnis ließ ihn zurückzucken. Er ließ sich in das Wasser gleiten und hörte, während er seinen Weg wieder aufnahm, das Lachen und Rufen des Mädchens. Von nun an war er ein Teil ihres Lebens. Vielleicht würde sie Kinder bekommen und ihnen von ihrer magischen Begegnung erzählen. Ein schöner Gedanke.
Fünfzig Seemeilen vor der Küste Argentiniens
    D er gewaltige Pottwalbulle begleitete ihn auf seinem Weg nach Norden. Ringförmige Narben bedeckten seine Haut, Zeichen titanischer Kämpfe gegen Riesenkalmare in der Finsternis der Tiefsee. Uralt war das Tier und hatte alle Meere dieser Welt bereist, von den Tropen bis zur Antarktis, von Neuseeland bis Alaska. Seine Erinnerungen vertrieben Christopher die Zeit, ließen Tage wie Minuten vergehen und gaben dem Bild des Ozeans, das in seinem Kopf herangewachsen war, den letzten Feinschliff.
    Nach und nach erwärmte sich das Wasser. Manchmal tauchte der Wal ab, um zu jagen, blieb eine Weile in der Tiefe und kehrte gesättigt zurück, manchmal mit tiefen Wunden versehrt, die ihm die Schnäbel und hakenbesetzten Saugnäpfe der Kalmare beigebracht hatten. Je weiter sie nach Norden kamen, umso belebter und lauter wurde das Wasser. Immer häufigerhörte er den Lärm großer Städte, immer mehr Schiffe kreuzten ihren Weg. Eines Abends zog eine Segelboot-Armada über sie hinweg, und in der Nacht darauf wurden sie, kaum dass sie in einen oberflächlichen Halbschlaf gefallen waren, von der lauten Musik eines Kreuzfahrtschiffes aufgeschreckt. Christopher wagte es, in der Nähe des schwimmenden Palastes aufzutauchen. Er betrachtete die sich im Wasser widerspiegelnden Lichterketten und die auf Deck umherwandernden Menschen, forschte nach den Erinnerungen, die der Anblick des Schiffes angestoßen hatte. Vor langer Zeit war auch er auf solch einem Gefährt gereist. An Norwegens Küste entlang bis zum Nordkap, gemeinsam mit Martha, Robert und Jeanne. Ihre letzte gemeinsame Reise.
    Mit einem schmerzenden Kloß im Hals tauchte er ab und nahm seine Wanderung wieder auf, getröstet von der Nähe seines majestätischen Gefährten. Viele Tage blieben sie zusammen, bis dem Wal der Geschmack des Wassers zu bitter wurde und er sich von ihm trennte, um in Richtung der Azoren weiterzuziehen.
    Mit wachsender Ungeduld strebte Christopher gen Norden. Zaghafte Hoffnung wurde zu euphorischer Zuversicht, denn bald würde er zum Floridastrom gelangen, der sich nördlich der Bahamas mit dem Antillenstrom zum Golfstrom vereinte. Hatte er diesen erst einmal erreicht, musste er sich nur noch treiben lassen. Immer weiter in den Norden hinauf, Hunderte Seemeilen weit, bis die Strömung nach Osten schwenkte und ihn als Nordatlantikstrom direkt zur Küste Schottlands bringen würde.
    Das Wasser nahm tropische Temperaturen an und gab seine Energie an ihn ab, doch zugleich wurde sein Geschmack immer bitterer. Etwas stimmte nicht im Gefüge des Meeres. Die wenigen Tiere, die ihm begegneten, schienen geschwächt und mager, der sonst bevölkerte Meeresboden war leer wie eine Wüste und nur hier und da von den robustesten Geschöpfen belebt. Je weiter er kam, umso kränker wurde das Wasser. Der Grund dafür lag bald vor ihm.
    Eine schwarze Wüste tat sich auf. So weit das Auge blickte, überzog schwarzer Schlick den Ozeanboden. Zähes, stinkendes Öl. Befand er sich im Golf von Mexiko und sah die Überreste der gewaltigen Ölkatastrophe? Nein, das war unmöglich. Er war viel zu weit östlich. Dies hier musste das Ergebnis eines ganz neuen Tanker- oder Bohrinselunglücks sein.
    Eine Zeit lang schwamm er am Rand der toten Welt entlang, doch nirgendwo kam ein Ende des Ölteppichs in Sicht. Es blieb ihm nichts

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