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Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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versilberte das Meer. Eine Weile ruhten sie aus und beobachteten, wie opaleszierende Kalmare aus der Tiefe aufstiegen, gefolgt von winzigen durchsichtigen Wesen. In allen Farben des Regenbogens flirrten sie zu Tausenden, verließen die ewige Finsternis am Meeresgrund und kamen zum Fressen an die Oberfläche.
    „Schwimmt weiter“, sagte er zu Cal. „Ich hole euch ein.“
    Ohne sich um die vielstimmigen Beschwerden seiner Artgenossen zu kümmern, tauchte er in die Tiefe, um noch einmal allein zu sein. Er driftete abwärts, bis die Masse des Wassers seinen Körper zusammengepresste. Entschlossen, einmal den Boden der wahren Tiefsee zu sehen, schwamm er ungeachtet dessen weiter, ganz langsam, bis sein Herz so träge schlug wie das einer Meeresschildkröte. Die Erinnerungen an sein verlorenes Leben waren hier unten so nah. So tröstend deutlich und klar. Je tiefer er schwamm, umso ruhiger wurde es in seinen Gedanken. Fast war es, als würde er in die Tiefen seiner eigenen Seele eindringen.
    Bald sah er nichts mehr außer Schwärze. Jetzt war er so tief, dass keinerlei Restlicht mehr vorhanden war und selbst seine an die Dunkelheit angepassten Augen versagten. Um ihn herum herrschte nichts als Finsternis, doch noch immer hatte er die Grenzen seines Körpers nicht ausgelotet. Sein Metabolismus veränderte sich spürbar, passte sich dem Druck an und glich ihn auf wundersame Weise aus. Er sank weiter hinab, glaubte bereits den Grund unter sich zu erahnen, doch dann spürte er etwas. Etwas Ungeheuerliches.
    Ein Geschöpf schwamm unter ihm in der Dunkelheit. Riesig in seinen Ausmaßen und angefüllt mit uralten Erinnerungen, die zu fremdartig waren, um sie zu begreifen. Das gigantische Tier wirbelte eine Strömung auf, die ihn fast mit sich gerissen hätte. Furcht und Ehrfurcht rangen miteinander. Es machte keinen Sinn, unauffällig sein zu wollen, denn das Wesen wusste längst, dass er hier war. Friedlich zog es nach kurzem Innehalten weiter, in seinem gesamten Sein jenseits aller Vorstellungskraft, und verschwand in der Weite der Tiefsee.
    Als Christopher zurückkehrte, empfingen ihn besorgte Gesichter. Er erzählte von seiner Begegnung, doch niemand konnte ihm eine befriedigende Antwort geben. Ja, sie kannten dieses Wesen, doch keiner hatte es je gesehen oder seine Gedanken begriffen. Es war eines der großen Rätsel der Tiefe. Ein Relikt der absoluten Finsternis, das nicht enthüllt werden wollte.
    Sie nahmen ihre Wanderung wieder auf, und mit jedem verstreichenden Tag erschien ihm die Weite des Pazifiks endloser. Immer, wenn Christopher sich an den Wal schmiegte und ausruhte, kreisten seine Gedanken um Maya und Jeanne. Wie fern ihm sein altes Leben erschien. Wie absurd der Gedanke, dass er jemals Vorlesungen in einer Universität gehalten und in Anzug und Krawatte vor Menschenmassen aufgetreten war.
    Er vermisste Maya so sehr. Ihre Stimme, ihre Nähe, ihre Reaktionen auf das, was er tat oder sagte. Sobald sie die Phoenixatolle erreicht hatten, musste er zurückkehren. Maya und Jeanne brauchten ihn, und er brauchte sie. Cal war inzwischen stark genug, um seine Position einzunehmen, wenigstens solange, bis er gemeinsam mit den Menschen, die er liebte, wieder zurückkehren konnte.
    Das Sonar eines Fischtrawlers zerschnitt die stille See und riss ihn aus seinen Gedanken. Weit vor sich, glänzend im Mondschein, wirbelte ein Sardellenschwarm durch das Indigoblau der nächtlichen See. Angsterfüllt tauchten seine Artgenossen ab und hinterließen einen blassen Eindruck von Hass, während Cal an seiner Seite blieb und mit ihm beobachtete, was geschah. Die Tiere kamen panisch auf sie zu, verfolgt von Geräuschen, die in den Meeren längst alltäglich geworden waren.
    Grelle Lichter eines Schiffes tanzten durch das Wasser, doch sie beleuchteten nicht das gigantische, für die Sardellen unsichtbare Netz. Die tödliche Falle schnappte zu, ohne dass sie es bemerkten. Christopher spürte die Panik der Tiere in sich widerhallen, als wäre es seine eigene. Alles hing im Meer zusammen, alles war eins. Das Wasser vereinte jedes Geschöpf, das in ihm existierte, zu einem lebendigen, einheitlichen Ganzen, dessen Existenz auf einem perfekt abgestimmten Kreislauf beruhte. Dass diese Einheit kurz davor war, zerstört zu werden, war spürbarer denn je. Einst hatte das Meer gewimmelt vor Leben und sein Reichtum war unerschöpflich gewesen. Das zeigten ihm Cals wunderbare Erinnerungen. Doch die gewaltigen Schwärme und die unzähligen Wale waren

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