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Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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weichenden Schwermut fühlte sie sich wundervoll. Wie euphorisch sie der Gedanke stimmte, bald drei Monate mit ihm auf einem Schiff zusammen zu sein, irgendwo am anderen Ende der Welt, konnte er wohl kaum ermessen. Sie drehte sich um die eigene Achse. So klar wölbte sich das Firmament über die Klippen, dass sie glaubte, die Sterne mit den Fingern berühren zu können. Der Große Wagen leuchtete genau über ihr. Über den Klippen schwebten Kassiopeia und die sieben Schwestern der Plejaden.
    „Keine Angst“, hörte sie Christopher rufen.
    Das sagte er so einfach, denn sie sah, wie er seinen Mantel auszog und Hose nebst Hemd folgen ließ. „Bist du verrückt? Es ist eiskalt. Und das Wasser, es …“
    „Ich kann nicht anders.“
    Sie kam nicht mehr dazu, ihren Satz zu beenden. Zu sprachlos machte sie der Anblick, wie er nackt ins Meer ging. Ganz langsam, als befreite ihn jeder Millimeter Wasser, der seine Haut umschloss.
    „Bitte. Tu das nicht.“ Ihre Stimme war nur noch ein Wispern. Christopher hörte nicht auf sie. Atemlos stand sie da, hinund hergerissen zwischen Angst und Faszination. Mein Gott, wie schön er war. Wie fremd trotz aller Vertrautheit. Sie sah, wie die Wellen seinen Körper umschlossen. Wie sie ihn umgarnten, als wollten sie ihn willkommen heißen. Er legte den Kopf in den Nacken, sodass seine blauschwarzen Locken auf die helle Haut fielen, und dann, mit einem erlösten Seufzer, ließ er sich ganz in das Wasser gleiten. Wie gebannt starrte sie auf das Funkeln der Oberfläche, in der sich die Sterne spiegelten. Nur wenige Herzschläge, und nichts tat mehr kund, dass ihr Bruder in den Fluten verschwunden war. Das Meer war so still, als hätte sich eine undurchdringliche Spiegelfläche hinter ihm geschlossen, um ihn für immer in der Welt aus Wasser zu halten. Sie fröstelte. Was, wenn Christopher hier und heute spürte, was er wirklich war? Was, wenn er sie zurückließ?
    Was dachte sie da? Es war doch nur eine Legende. Ein Märchen für Kinder. Wieder und wieder sog sie die kalte Luft ein, bis sie das Gefühl hatte, in die Wirklichkeit zurückzukehren. „Hör bloß auf zu spinnen“, ermahnte sie sich. „Denkst du wirklich, ihm wachsen Flossen?“
    Noch immer war er nicht wieder aufgetaucht. Wie viele Minuten waren vergangen? Fünf? Vielleicht sogar mehr? Möglicherweise hatte er sich irgendwo versteckt. Ängstlich starrte sie auf die Wasserfläche. Es gab in der Bucht keine Felsen, hinter denen er in Deckung hätte gehen können. Nur steil aufragende Klippen.
    „Komm zurück“, rief sie. „Bitte. Hör auf damit. Das ist nicht witzig.“
    Kaum war das Echo ihres Rufes verklungen, tauchte er mitten in der Bucht wieder auf. Die Erleichterung war so groß, dass ihr Herz mehrere Schläge auszusetzen schien. Herrgott, wie konnte er ihr so einen Schrecken einjagen? Blödmann.
    „Oh, es war herrlich“, rief er, drehte sich auf den Rücken und schwamm zurück an den Strand. „Du glaubst gar nicht, wie schön es war. Ist man erst mal drin, kommt es einem gar nicht mehr kalt vor.“
    Schwer atmend entstieg er dem Wasser, das ihn nur widerwillig gehen ließ. Aus dem Nichts entstehende Wellen umflossen seine Füße, als versuchten sie, ihn zurückzuziehen. Der letzte Zentimeter seiner Haut verließ das Meer. Ungläubig sah Jeanne, wie die zuvor makellose Wasseroberfläche der Bucht begann, sich wieder im Wind zu kräuseln.
    „Tu das nie wieder“, entfuhr es ihr harscher als beabsichtigt. „Ich dachte, du wärst ertrunken.“
    „Wie lange war ich weg?“
    „Keine Ahnung. Fünf Minuten? Sind dir Kiemen gewachsen oder was? Ich bin fast umgekommen vor Sorge.“
    Nass, wie er war, stieg er in seine Kleidung. „Meine verträumte kleine Schwester. Manchmal hast du zu viel Fantasie. Was hältst du davon, wenn ich dich morgen von der Schule abhole? Dann fahren wir gemeinsam nach Hause und unternehmen einen Ausritt? Die Sheepbouwers haben sicher nichts dagegen, wenn wir uns ihre Pferde ausleihen.“
    Das Glück, das sie bei seinem Vorschlag empfand, war trügerisch wie eine dünne Eisfläche über tiefem Wasser. Sie grub ihre Finger in Christophers tropfnasse Locken, legte den Kopf auf seine Schultern und nickte. Früher als Kind war sie sorglos mit ihm am Strand herumgetollt, gleichgültig ob Vergangenheit und Zukunft, voller Flausen und Hoffnungen. Wie gern hätte sie wieder am Strand Treibgut gesammelt, vom Meer ausgebleichtes Holz zu einem Lagerfeuer aufgestapelt und selbst gefangenen Fisch

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