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Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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gebraten, erfüllt vom ungetrübten Glück eines Kindes. Sie hatten sich damals Geschichten von Nixen, Kobolden und Ungeheuern erzählt und sich gebannt um das Feuer gedrängt. Ihre Körper bebten vor genüsslicher Furcht, während sie jeden Augenblick damit gerechnet hatten, die Eltern oben an den Klippen zu entdecken.
    Was war aus diesen Zeiten geworden? Jetzt waren Mom und Dad tot, und sie bereitete sich auf eine ungewisse Zukunft vor. Ihr Hunger nach Abenteuer war nie gestillt worden. Nur die Sorglosigkeit war verlöscht wie ein Lagerfeuer, das von der Flut überspült wurde.
    „Wir hörten beide bei unserem ersten Atemzug das Geräusch der Wellen“, sagte sie. „Unser ganzes Leben ist davon erfüllt. Als wären sie unser Herzschlag. Und wenn sie aufhören, hören auch wir auf.“
    „Aber die Wellen werden immer da sein“, antwortete Christopher. „So wie Millionen Jahre vor uns und Millionen Jahre nach uns. Bis die Sonne sich aufbläht und das Meer verdampft.“
    „Wirst du wieder gehen?“, flüsterte sie.
    „Nicht ohne dich.“
    Die Haut seiner Wange, an die sie ihre Stirn schmiegte, war kalt wie Eis. Der Gedanke, ihn erneut loslassen zu müssen, war unerträglich. Und doch war er allgegenwärtig. Bei allem, was sie tat. „Warum vergeht die Zeit so schnell?“ flüsterte sie an seinem Ohr. „Warum rinnt sie einem durch die Finger, immer schneller, je älter man wird?“
    „Hm“, machte er. „Keine Ahnung. Da musst du einen Physiker fragen.“
    Über ihnen erklang ein Kläffen. Finn stand am Rand der Klippen, gespenstisch wie einer der Tiergeister, von denen man sich hier oft erzählte.
    „Darf ich heute Nacht bei dir schlafen?“ Jeanne drängte sich noch fester an ihn. Innerlich wie äußerlich war ihr kalt. „Ausnahmsweise?“
    „Sicher darfst du. Aber jetzt lass uns gehen, sonst verwandelst du dich noch in einen Eiszapfen oder fällst gänzlich der Melancholie anheim. Freust du dich denn nicht? Auf unser anstehendes Abenteuer?“
    „Doch.“ Das tat sie wirklich. „Sehr sogar.“
    Sie nahm ihn bei der Hand, und dann rannten sie mit dem Hund zum Haus zurück. Heimlich, als wären da noch immer ihre Eltern, die nicht bemerken sollten, wo sie sich schon wieder rumgetrieben hatten, schlichen sie in die Dachetage. Hinauf in Christophers Refugium.
    „Ab in die Federn.“ Oben angelangt deutete er auf das Bett. „Sonst kommst du morgen nicht raus. Hast du nicht auch irgendwas von einem Biologie-Test erzählt?“
    „Nein, ein Spanisch-Test. Und ich will auch nicht aus den Federn kommen.“ Sie grub ihre Finger in das Nackenfell des Hundes, der es sich zu Füßen des Bettes bequem gemacht hatte. „Was nützt es mir, wenn ich berechnen kann, mit welchem Energieaufwand ein Kühlschrank geöffnet wird oder wie schnell ein Apfel vom Pisaturm fällt? Ich lerne nur unnützes Wissen und muss dafür auch noch zu Unzeiten aus den Federn. Wer einatmet, muss ausatmen. Wer einschläft, muss ausschlafen.“
    „Ganz meine Meinung.“ Er zog eine Matratze auf den Boden und legte eine Decke sowie ein Sofakissen darauf. „So, darf ich die Dame bitten?“ Galant vollführte er eine Verbeugung. „Alles ist auf das Trefflichste vorbereitet.“
    Ihrer Kehle entwich ein Glucksen. Wohlig kuschelte sie sich in die Decke und fühlte eine Behaglichkeit, wie sie nur tiefe Müdigkeit gepaart mit einem weichen, warmen Zufluchtsort hervorrief. „Ich werde morgen früh unmöglich aus den Federn kommen“, nuschelte sie. „Vielleicht sollte ich blaumachen. Was meinst du?“
    Christopher schnalzte mit der Zunge. „Ich würde dir gewaltig die Leviten lesen.“
    „Warum?“
    „Weil wir nun mal in einer Zeit leben, in der gewisse Dinge nötig sind. Oder hast du eine Idee, wie wir ohne Geld auskommen könnten? Willst du auf deiner Geige spielen und ich singe? In einer Fußgängerzone? Oder versuchen wir uns als Bankräuber?“
    „Warum nicht?“
    „Träumerin.“
    In liebevollem Tadel schüttelte er den Kopf und zog sich aus. Müde schloss sie die Augen. Als sie sie wieder öffnete, stand er in einer schwarzen Jogginghose vor ihr. Es gab eine Menge Jungen aus der Schule, die ihre Körper wie besessen in denFitnessstudios malträtierten, entschlossen, sich zu einem athletischen Adonis zu mausern. Doch keiner erreichte auch nur annähernd die körperliche Anmut, wie sie ihr Bruder besaß. Von der Natur erschaffene Perfektion, ausgeprägt von der schweren Arbeit auf den Fischerbooten, die er seit seiner Rückkehr gerne und

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