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Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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Letztens habe ich in der Zeitung von einem Orkan gelesen, der wie aus dem Nichts kam und nur diesen Küstenabschnitt hier betraf. Die Meteorologen waren vollkommen ratlos.“
    „Magie ist nichts weiter als Natur“, erwiderte er ausweichend. „Dinge, die sich der Mensch noch nicht erklären kann.“
    „Hör auf damit.“
    „Wer würde schon in Betracht ziehen, dass ein lebendes Wesen die Macht hat, Stürme heraufzubeschwören oder das Wasser zu beherrschen?“
    „Du solltest es trotzdem nicht tun. Sieh dich um. Hör genau hin. Alles ist wie tot.“
    Sie hatte recht. Etwas Gespenstisches lag über dem stillen Ozean, etwas, das von der Natur nicht gewollt war. Noch einmal ließ er die Energie durch seinen Körper fließen. Er musste nichts tun, nur dem Strom seinen Lauf lassen. Wind kam auf. Das Meer schmückte sich mit Kronen aus Schaum. Keine zehn Schritte entfernt hockten drei Möwen am Rand der Klippe und gafften.
    „Danke. Das war unheimlich.“
    Sie bebte in seinen Armen. Er spürte ihre Angst vor dem Unerklärlichen. Ihre Angst vor ihm und dem, was er tun konnte. Unvermittelt bereute er seine unüberlegte Tat.
    „Sag mir, wie sieht es da unter Wasser aus?“, flüsterte sie. „Erzähl es mir.“
    „Bist du nie getaucht?“
    „Doch, aber noch nie hier.“
    Behutsam streichelte er über ihren Hinterkopf, auch wenn es ein lächerlicher Versuch war, sie zu beruhigen. „Zuerst ist der Sand ganz hell und von Gezeitenrillen durchzogen. Man sieht Muscheln, Seeigel, Schnecken und Krabben. Weiter draußen wird der Sand dunkler. Es kommen Seegraswiesen und die Tangwälder. Sie sind ähnlich wie die Wälder an Land. Es gibt Stängel, so hoch wie Bäume. Die Blätter bewegen sich in der Strömung wie das Laub im Wind. Zwischen ihnen schwimmen Fische, Robben und Quallen. Hinter den Tangwäldern beginnt das Riff. Scharfe Felsen mitten in einer starken Strömung. Ganz unten in ihren Schluchten ist es still und nachtschwarz. Schließlich kommt die offene See. Dort bin ich nie gewesen, weil ich das Gefühl hatte, sonst nicht mehr zurückkommen zu können.“
    Sie schmiegte sich an ihn wie ein Kätzchen und steigerte seinen Beschützerinstinkt. Er musste sich ermahnen, sie nicht fester als nötig zu umarmen. Ohne Eile liefen sie weiter, folgten eine Zeit lang stumm dem Rand der Klippen, bis die Küstenlinie in der von Gras bewachsenen Haifischflosse gipfelte.
    „Was muss das für ein Gefühl sein“, flüsterte Maya. „Einfach abzutauchen, ohne Taucheranzug und Pressluftflaschen. Wie fühlt es sich an, die Sache mit der Hautatmung?“
    Er versuchte, dieses besondere Gefühl zu visualisieren, doch schnell begriff er, dass Worte es nicht umschreiben konnten. Dennoch versuchte er sein Glück. „Es fühlt sich an, als würde das Wasser meinen gesamten Körper durchdringen. Der Sauerstoff strömt durch mich hindurch. Es … hm … keine Ahnung. Ich kann es nicht beschreiben. Tut mir leid.“
    Am höchsten Punkt der Haifischflossenklippe standen sie schweigend da und genossen den sonnenschweren Dunst des Morgens. Irgendwann löste Maya sich von ihm, um zum Stein hinüberzugehen. Er ließ ihr Zeit, das Relikt eine Weile in Ruhe zu betrachten, dann gesellte er sich zu ihr. Wie unzählige Male zuvor berührte er den Menhir, fuhr das Muster mit den Fingern nach und reiste in Gedanken in längst vergangene Zeiten. Seine Mutter hatte die Seele des hier begrabenen Mannes befreit. Sie hatte ihn getötet und eine Aufgabe erfüllt, die eines Tages auch ihn treffen würde.
    „Hier sind ihre Haare.“ Mayas Stimme senkte sich zu einem Flüstern. „Und hier geht ihre Hüfte in den anderen Körper über. Ich sehe Schuppen und eine Flosse. Das hier sieht aus wie Seetang, der sich ineinander verschlingt.“
    Als sie aufstand, sich das Gras von der Cordhose klopfte und ins Leere starrte, lag Fassungslosigkeit in ihrem Blick. Was dachte sie? Was spürte sie? Er hätte es zu gern erfahren, scheute sich jedoch aus irgendeinem Grund, danach zu fragen.
    „Das hier kommt mir so vertraut vor“, wisperte sie. „Ich sehe den Stein vor mir, wie er früher war. Ganz früher, als man hier noch die Feuer angezündet hat.“
    „Die Feuer? Du weißt von ihnen?“
    „Hab davon gehört.“ Mit Daumen und Zeigefinger rieb sie sich die Nasenwurzel. „Glaube ich jedenfalls. Keine Ahnung, irgendwas hier lässt meine Fantasie durchbrennen. Wenn ich mit dir zusammen bin, ist alles so unwirklich. So … du weißt schon. Fantastisch.“
    „Man hat früher

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