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Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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hier Feuer angezündet, um verlorenen Seelen auf See ein Licht mitzugeben.“ Er stand auf und blieb dicht vor Maya stehen. „Jede Nacht brannten sie hier oben, bis man im letzten Jahrhundert diese Tradition beendete.“
    „Wie schön.“
    Sehnsüchtig wartete er darauf, dass sie erneut seine Nähe suchte, und als sie sich endlich in seine Arme warf, durchzuckte ihn Ungläubigkeit. Diese Frau verstand ihn. Sie akzeptierte ihn als das, was er war, trotz aller Gefahren, die seine unberechenbare Natur mit sich brachte. Er hoffte zutiefst, ihr nie wehzutun.
    „Wenn es so weit ist, dann nimmst du mich mit.“ Ihre Augen, groß und dunkel, blickten zu ihm auf. Am liebsten hätte er Maya wie ein Kätzchen unter seinen Pullover gesteckt, um sie für den Rest seines Daseins zu beschützen. „Irgendwann kommt meine Zeit, und dann befreist du meine Seele.“
    Sprach sie vom Sterben? „Warum sagst du so was?“
    „Warum nicht? Kennst du das Gefühl kurz vor dem Einschlafen? Das Gefühl des Fallens, von dem du zuckend aufwachst?“
    „Ja.“
    „Genau das fühle ich, wenn du mich ansiehst. Es ist, als würde ich in die Tiefe gezogen werden, als würde mein Willen sich auflösen und nur noch einen Wunsch zulassen. Frieden finden. In der Tiefe des Meeres. Du hast gesagt, dass ihr dazu bestimmt seid, Seelen nach Hause zu bringen und ihre Sehnsucht zu erfüllen.“
    „Ja, aber …“
    „Ich bin nicht todessehnsüchtig.“ Sie gab ein kindliches Lachen von sich. „Vielleicht siehst du mich alt und grau in einem Schaukelstuhl sitzen, bevor es so weit ist. Ich glaube, du übst diesen Zauber nur auf die Menschen aus, deren Seelen dazu bestimmt sind, dir zu folgen. Wir wussten von Anfang an, dass wir zusammengehören, nicht wahr? Der Mensch, der dich zur Welt bringt, ist dir genauso nahe wie der, der dich in den Tod begleitet. Ich würde mir niemand anderen als Begleiter für diese Reise wünschen. Versprich mir das.“
    Er nickte beklommen. Die Härchen in seinem Nacken sträubten sich, wie elektrisiert von ihrer Nähe. Am Ende würde er ihr Schicksal erfüllen, das sagte ihm ein tief in ihm ruhendes Wissen. Er schloss die Augen, hielt das Gesicht in den salzigen Wind und hoffte, dass dieser Tag in weiter Ferne lag.

    Sie spielte in den Wellen, ließ sich von ihnen auf und ab wiegen, tauchte mit einem Flossenschlag wieder in die Tiefe hinunter und durchmaß das von Lichtstrahlen erleuchtete Blau. Alles hier unten war blau. Die Wintersonne, die Felsen, Fische und Muscheln. Die filigranen Anemonen und die über den Sand gleitenden Rochen.
    Eine Weile trieb sie mit ausgebreiteten Armen auf dem Rücken und beobachtete die Tangwedel. Sie leuchteten in der Sonne und warfen Schatten, genauso wie die Bäume an Land vor ewigen Zeiten im Sommer. Wie schön wäre es, endlich wieder in das Meer der Tropen zurückzukehren. Nur wegen des Sohns ihrer Schwester harrte sie hier aus, um ein Versprechen einzulösen, das sie vor vielen Jahren gegeben hatte, doch langsam wuchs ihre Ungeduld. Er ahnte ja nicht einmal im Ansatz, wie kostbar er war. Ihre Rasse starb aus, so, wie die Legenden und der Glauben in den Köpfen der Menschen starben, und die Überlebenden waren zu schwach, um für Nachkommen zu sorgen. Aber käme er zu ihr, jung und stark und ebenso mächtig, wie sie es war, würde es vielleicht eine Rettung geben.
    Damals, als sie gemeinsam mit ihrer Schwester die Ozeane durchwandert hatte, waren sie von einer Welt voller Gefahren empfangen worden. Gigantische Netze, die den Meeresboden umpflügten und nichts als Zerstörung hinterließen. Riesige Schiffe in ungeheurer Zahl. Sogar Schiffe unter Wasser, größer als zwei Wale zusammen und Töne aussendend, so laut und alles zerfetzend, dass sie betäubt im Wasser umhergetrieben und nur langsam wieder zu Sinnen gekommen waren. Diese Welt war nicht mehr ihre Welt, aber sie wollte nicht aufgeben. Christopher, das Bindeglied zwischen zwei Welten, war in erster Linie eines: Hoffnung.
    Das Tuckern eines Bootes schreckte sie aus ihrem Dämmerzustand auf. Konnten diese verfluchten Menschen sie nicht mal in Ruhe lassen? Unablässig kreuzten Fischer oder Touristen ihren Weg, wühlten mit den Booten das Wasser auf und machten unerträglichen Lärm.
    Mit ein paar Flossenschlägen tauchte sie ab, durch den Tang bis zum sandigen Grund. Dort verharrte sie und blickte zum vorbeiziehenden Boot hinauf. Sein Boden war aus Glas. Dahinter schimmerten bleiche, hässliche Menschengesichter und starrten in das

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