Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meereskuss

Meereskuss

Titel: Meereskuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Kantra
Vom Netzwerk:
Zerwürfnis mit der Hölle anzuzetteln. Er konnte nicht kämpfen und gewinnen. Er konnte nicht kapitulieren und überleben. Alles, was er tun konnte, war, sich wie ein Krebs an die Felsen zu klammern und zu beten, dass Lucy das Blatt zu ihren Gunsten wenden möge, bevor sie alle verdorrten und ausstarben.
    Wenn sie seine Kinder bekäme …
    Er stellte sich ihr schmales, ruhiges Gesicht vor, ihre Augen, die wie die See nach einem Sturm aussahen. Aber das war es nicht.
    Nicht nur das.
    Gau wartete auf seine Antwort.
    »Im Interesse des Friedens nehmen wir die Entschuldigung der Hölle an«, sagte Conn förmlich.
    Gau verbeugte sich mit nur einem Hauch von Spott. »Wir sind dankbar für Eure Weisheit, Meereslord. Mein Herr wäre beunruhigt, wenn etwas das gegenwärtige, empfindliche Gleichgewicht der Kräfte stören würde.«
    Trotz Gaus hervorragender Verstellung, trotz seiner diplomatischen Ausdrucksweise wusste Conn sehr wohl, dass dies kein Dank war.
    Es war eine Warnung.
     
    Lucy saß da, die Hände im Schoß, und lauschte dem sanften Geplätscher des Wassers. Sie spürte die Sonne auf ihrem Gesicht, während sie sich anstrengte, an gar nichts zu denken.
    »Du gehörst hierher«,
hatte Conn gestern Abend zu ihr gesagt.
»Mit der Zeit wirst du dich damit abfinden.«
    Hatte er recht?
    Sie fragte sich, wie Dylan sich eingewöhnt hatte, nachdem er mit dreizehn Jahren zum ersten Mal hierhergekommen war und seine Familie und Freunde sowie das einzige Leben, die einzige Welt, alles, was er kannte, zurückgelassen hatte. Aber Dylan war ein Selkie, und er hatte ihre Mutter an seiner Seite gehabt.
    Sie fragte sich, wie Griffs Frau Emma sich eingelebt hatte, als einziger Mensch, als einzige Sterbliche auf Sanctuary. Conn sagte, dass sie hier glücklich gewesen war. Erfüllt. Aber Emmas Mann war ihr bis zu ihrem Tod treu ergeben gewesen.
    Lucy faltete die rote Wolle auf ihrem Schoß und fragte sich, wie es wohl wäre, geliebt zu werden. Wie sie sich fühlen würde, wenn Conn sie liebte.
    Sie erinnerte sich an den Ausdruck auf seinem Gesicht, als er aufs Meer hinausgesehen hatte, der Körper wie aus Mondlicht und Marmor gemeißelt, und ihr tat das Herz in der Brust weh.
    Madadh knurrte und kam in eine kauernde Stellung hoch.
    Erstaunt blickte sie nach unten. Die kleinen Ohren des Hundes waren flach angelegt. Seine gelben Augen loderten. Sie folgte seinem Blick zu dem verlassenen Torbogen und dahinter zu dem steinernen Bergfried. Ihre Brust zog sich ahnungsvoll zusammen.
    »Alles in Ordnung«, beruhigte sie ihn, ohne den Hauch einer Ahnung, ob wirklich alles in Ordnung war oder nicht.
    Madadh schlich einen Schritt nach vorn.
    Sie streckte die Hand aus –
kein Halsband
– und legte sie auf die Schultern des Hundes. Sie spürte, wie sich seine Muskeln unter dem Fell bündelten. »Wir wollen doch keine Dummheiten machen.«
    Etwas ging im äußeren Burghof vor sich. Das große eisenbeschlagene Tor schwang lautlos auf. Keine Schritte. Keine Stimmen. Ihr blieb noch immer Zeit, sich auf ihr Zimmer zurückzuziehen. Vorausgesetzt, dass sie es in diesem Gewirr aus Steinen fand.
    Sie stand auf. »Komm schon«, drängte sie Madadh mit einer Stimme, die wenig überzeugend fröhlich klang. »Lass uns –«
    Der Hund machte einen Satz unter ihrer Hand hervor und jagte über den Hof davon.
    »Verdammt.« Sie lief ihm nach.
    Unter dem Torbogen blieb sie stehen. Sie drückte sich gegen den kalten, behauenen Stein, während ihr das Herz gegen die Rippen hämmerte.
    Eine gespenstische Gesellschaft – Menschen? – strömte wie Rauch aus dem offenen Tor. Keine Menschen. Geister. Alte Soldaten aus historischen Zeiten, Senatoren, Zenturionen, wie Komparsen aus einem alten Bibelfilm, Visionen aus einem Alptraum. Etwas an der Form ihrer Schädel, ihrer Schulterhaltung und ihren Augenhöhlen war nicht ganz … richtig. Ihre Roben und Körper waberten fließend im Sonnenlicht. Durch die Stiefel und die Sandalen an ihren Füßen konnte sie die Pflastersteine des Hofs wie Knochen sehen.
    Ihr gefror das Blut in den Adern.
    Madadh raste wie ein von einer Schleuder abgefeuerter Stein durch die sich ständig verändernde, flirrende Menge. Funkelnde Luftverwirbelungen wurden im Schlepptau des Hundes sichtbar.
    »Madadh, nein!«, rief Lucy, als sich eine Gestalt – groß, in einer Toga mit irgendwelchen Blättern um den dunklen Kopf – umdrehte und die Hand hob.
    Der Hund fiel wie ein Stein um.
    Lucy presste die Hände auf den Mund.
    Der Mann – wenn es

Weitere Kostenlose Bücher