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Meereskuss

Meereskuss

Titel: Meereskuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Kantra
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denn einer war – sah von dem Hund, der zu seinen Füßen winselte, zu Lucy, die sich an die Mauer drückte. Seine Augen glühten wie die Asche eines ersterbenden Feuers. Sie versengten ihre Seele.
    Sie spürte den brachialen Dolchstoß wie einen Eispickel in ihrem Schädel, wie einen Besenstiel zwischen ihren Beinen. Stechend. Brennend. Reißend.
Böse.
    Instinktiv fuhr sie in den Schatten des Torbogens zurück. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust, und im Mund schmeckte sie Asche.
     

[home]
    11
     
    Als Bart Hunter heimkehrte, empfingen ihn das Geplapper des laufenden Fernsehers und der Geruch angebrannten Essens. Er ließ seine Stiefel neben der Tür fallen. »Lucy?«
    Keine Antwort.
    Wo zum Henker war sie nur?
    Er wollte nicht hier sein. Er wollte nicht zu Hause sein. Normalerweise war er um diese Uhrzeit im Inn. Ein Mann hatte sich nach einem Tag auf dem Wasser einen Drink verdient. Er sollte nicht nach seiner erwachsenen Tochter sehen müssen. Sie war zu alt, er war zu alt für diesen Schwachsinn.
    Aber als er in der Schlange gestanden hatte, um seinen Fang zu verkaufen – junge Hummer, die gerade die Schalen gewechselt hatten und über den Winter als Besatz für den Genossenschaftsteich dienen sollten –, hatte dieser Idiot Henry Tibbetts gewitzelt: »Wo hast du ihre Leiche vergraben, Bart?«
    Als ob seine Tochter tot und nicht nur ein paar Tage krank wäre.
    Als ob sie davongelaufen wäre.
    Wie ihre Mutter.
    »Lu!«, bellte er.
    Es sah ihr gar nicht ähnlich, dass sie der Arbeit aus dem Weg ging. Selbst als kleines Mädchen hatte sie nie länger als einen Tag in der Schule gefehlt. Sie hat nie Probleme gemacht, dachte er voller Stolz und Bedauern.
    Der Fernseher quäkte weiter – irgendeine Frau mit großen Lippen und kleinen Titten beugte sich gerade über einen Herd. Nachdem Bart das Gerät ausgeschaltet hatte, hörte er Geräusche aus der Küche. Fließendes Wasser. Schaben.
    Er fand Lucy in der Küche. Sie stand vor dem Spülbecken und kratzte mit einem Bratenheber irgendeine gottverdammte schwarze Sauerei aus der Bratpfanne. Schränke und Schubladen waren geöffnet. Die Arbeitsflächen waren mit schmutzigen Tassen, Schüsseln und Löffeln übersät, dazwischen verschüttetes Mehl, Fett- und Tomatenkleckse. Über dem Rauch und der Kohle waberte ein schärferer, frischerer Geruch wie von gemähtem Rasen.
    Als er die Küche betrat, fuhr Lucys Kopf herum, sodass ihr blonder Haarschopf flog. Etwas – Tomatensauce? Schokolade? – war auf ihrer Wange verschmiert. Ihr Blick war wild.
    Bart blieb stehen. Er fragte nicht, was los war. Er fragte nie. Es gab zu viele mögliche Antworten, die er nicht hören wollte. »Was zum Henker machst du da?«
    Sie hob die Pfanne halb aus dem Spülbecken, wobei Wasser auf den Boden klatschte. »Ich wollte Abendessen kochen.«
    Sein Blick wanderte von dem nassen Fliesenboden zu den harten, schwarzen Überresten von … was auch immer, die im Spülbecken vor sich hin stanken.
    Er runzelte beunruhigt die Stirn. Bestürzt. »Warum hast du nicht einfach irgendwas in den Schmortopf geworfen?«
    »Ich weiß nicht«, antwortete sie mit zitternder Unterlippe. »Ich weiß gar nichts.«
    In ihren Augen standen Tränen.
    Bart fuhr zurück. Aber unter seiner Besorgnis und Verärgerung rührte sich eine Erinnerung: an Alice, wie sie sich, kurz nachdem sie zu ihm gezogen war, in der Küche abmühte.
»Aber ich will doch für dich kochen«,
hatte sie geklagt, als er schon wieder zu einem verkohlten Abendessen heimgekehrt war.
»Wie eine ganz normale Ehefrau.«
    »Ich wollte gar keine ganz normale Ehefrau«,
neckte er sie dann.
»Ich habe eine Meerjungfrau geheiratet.«
Dann schlug er ein paar Eier in die Pfanne, oder er kochte einen Hummer, oder sie ließen das Abendessen ganz aus und gingen nach oben, um miteinander zu schlafen.
    Früher einmal. In der guten alten Zeit. In der Zeit, als sie ihn noch genug liebte, um ihn zu befriedigen, und er sie noch genug liebte, um ihr zu vertrauen.
    Der alte, vertraute Schmerz nagte wieder an ihm.
    Er sah auf Alices Tochter, ihr gerötetes Gesicht, ihre Augen voller Tränen, und trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen.
    Er war ihr nie ein guter Vater gewesen. Es war nicht nötig gewesen. Caleb hatte sie großgezogen, seitdem sie noch in die Windeln gemacht hatte. Und als der Junge von zu Hause wegging, konnte sie schon ziemlich gut auf sich selbst aufpassen. Und auch auf ihn. Sie kümmerte sich um die Wäsche, machte ihre Hausaufgaben und

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