Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meereskuss

Meereskuss

Titel: Meereskuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Kantra
Vom Netzwerk:
sich, mochte das wimmernde Keuchen, das sich ihrer Kehle entrang, als Atmen durchgehen.
    Madadh gab zu ihren Füßen die gleichen Geräusche von sich. Sie grub die Nägel in die Handflächen. Irgendwie war der Hund zu ihr gekrochen und hatte dabei eine unheilvolle dunkle Spur im Staub hinter sich hergezogen. Sie hatte den Wolf, der ihm den Bauch aufgerissen hatte, ins Jenseits befördert, doch sie konnte nicht niederknien und sich um den Hund kümmern oder ihn beruhigen, konnte den Blick nicht von dem zähnefletschenden, schnappenden Rudel abwenden, das in engem Zirkel seine Toten umstrich.
    Sie trat von einem Fuß auf den anderen. Zitterte. Wölfe griffen die Schwachen an. Sie musste stark sein.
    Aber das Böse, dem sie sich gegenübersahen, zehrte ihre Kraft auf und untergrub ihre Willensstärke. Sie fühlte seine Heimtücke wie ein Gewicht auf ihrer Brust, wie ein Drücken in ihrem Kopf, drängend, immer drängender gegen die Wehrmauern ihres Verstandes, grausame Finger durch alle Risse steckend und nach einer Öffnung suchend, nach Schwäche forschend.
    Sie blockte es ab, blockte alles ab, den Schmerz und die Angst und den Gestank von Blut und verbranntem Fleisch. Den Obstgarten und das Meer konnte sie nicht mehr riechen.
    Bald würde das Drücken in ihrem Kopf keine Rolle mehr spielen. Jeder Ansturm zog den Kreis enger – eine Schlinge, die sich langsam zuzog. Bald gab es keinen Platz mehr, um sich zu verteidigen, und sie und Iestyn würden in einer Masse aus losstürzenden Körpern und zubeißenden Fängen untergehen.
    In ihren Augen brannte Schweiß. Brannten Tränen. Ihre Schultern schmerzten. Was konnten sie schon unternehmen, ein blutender Junge und ein entkräftetes Mädchen, gegen ein Rudel Wölfe? Ihre Beine zitterten. Wie lange würden sie ihren Körper noch tragen?
    Sie blinzelte. Zu viele Zähne. Zu viele Augen. Sie umkreisten sie, mit all der Bedrohlichkeit, nicht aber mit der Anmut von Wölfen.
    Sie war noch nie eine Kämpfernatur gewesen. Caleb war der Kämpfer, standfest und stark. Wie der Soldatenführer aus dem Märchen, das er ihr früher vorgelesen hatte. Sie hätte Caleb gern noch einmal gesehen. Caleb und seine Waffe. Bei dem Gedanken musste sie lächeln. Sie hätte ihm gern Lebewohl gesagt.
    Ihr Lächeln schwand. Würde ihre Familie überhaupt erfahren, was ihr zugestoßen war?
    Und Conn. Sie hätte so gern …
    Nein.
    Ihr Entschluss war ein Kloß in ihrem Magen, glatt und kalt und in etwa so heldenhaft wie Haferbrei. Aber sie war noch nicht bereit, Conn Lebewohl zu sagen.
    Sie leckte sich über die aufgesprungenen Lippen. In ihrem Leben, in ihrer Welt kam die Kavallerie nicht zu ihrer Rettung angeritten. Auch ihr Prinz kam nicht. Das hatte sie jedoch noch nie davon abgehalten, es zu versuchen.
    Zu überleben.
    Sie öffnete die blutigen Hände. Sie drückte die wackeligen Knie durch. Wenn die Dämonen erneut angriffen, war sie bereit.
     
    Conn roch Rauch.
    Verschmortes Fleisch. Versengte Erde. Das Brutzeln von Ozon. Der Wind trug es heran wie den Gestank gebrandmarkten Viehs oder eines lodernden Scheiterhaufens.
    Griff hustete.
    Brychan fluchte.
    In vollem Lauf atmeten sie bereits schwer. Im Meer waren sie voller Kraft und Anmut. An Land liefen sie mit trommelnden Füßen und weit ausholenden Beinen dahin, mit rasch umgegürteten Waffen, die gegen Rücken und Schenkel prallten. Schweiß rann ihnen das Gesicht und die Brust hinab.
    Conn hatte Heimlichkeit der Schnelligkeit geopfert, ein großes Aufgebot einer raschen Bereitstellung. Es brauchte Zeit, sich zu sammeln; und noch länger, um sich zu bewaffnen. Zeit, die er nicht hatte.
    Kaum ein Dutzend Wächter folgte, als er aus dem Tor stürzte, als er die Blumen im Obstgarten zertrampelte und den Hang hinaufstürmte, dem brüchigen Flüstern seines Namens hinterher.
    Die Luft fühlte sich dickflüssig an. Dick. Conn quälte sich ab wie ein Sterblicher in der See, von einer Welle der Furcht davongetragen.
    Der beißende Gestank von Rauch und Blut trieb von den Felsen heran, erinnerte an ein Schlachtfeld der Menschen. Ein Vogel schrie vor Entrüstung und stieg wie ein schwarzes Banner in den Himmel auf.
    Die Luft schnitt ihm wie mit Messern in die Lunge.
Bitte, Gott …
    Selkies beteten nicht.
    Bitte, Gott, mach, dass sie außer Gefahr ist.
    Ein Wolf –
kein Wolf
– erschien knurrend unter ihnen, mit heißem, stinkendem Atem und rotem, feuchtem Schlund, die Augen von Feuer und Hass erfüllt.
    Dämon.
    Conn sah noch das Fletschen der

Weitere Kostenlose Bücher