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Meereskuss

Meereskuss

Titel: Meereskuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Kantra
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Einer von Hunderten über die Jahrhunderte, treu ergeben und ersetzbar.
    Es schnürte ihm die Kehle vor Kummer zu.
    Er konnte seine Wunden nicht heilen. Diese Gabe hatte sein Volk schon vor der Regentschaft seines Vaters verloren.
    Nur eines konnte er tun.
    Er streichelte das struppige Fell. Er schickte seine Kraft durch seine Hände, durch verdrehte Gedärme, aufgerissenes Fleisch und gepeinigte Nerven und nahm den Schmerz in sich selbst auf, um dem Hund die Leiden und den Übergang zu erleichtern.
    Lucy kniete sich neben ihn. Ihr Haar fiel über ihr Gesicht und seine Hände, und sie vergoss die Tränen, die ihm im Hals brannten.
    »Lebwohl, mein Freund«, flüsterte er heiser. »Schlaf in Frieden und träume von Kaninchen.«
    Lucy schniefte. Eine einzelne Träne fiel auf Conns Handrücken.
    Und zischte.
    Er hielt vor Schmerz und Überraschung den Atem an, als die Hitze dieser einzelnen Träne seine Hand wie einen Nagel durchbohrte und sich in seine Handfläche brannte. Neben ihm glühte Lucy und strahlte Wellen von Wärme ab. Er ergriff ihre Hand und legte sie über seine, so dass ihrer beider Finger sich in das blutige Fell des Hundes gruben. Er spürte, wie Magie durch ihre verbundenen Gliedmaßen pulste, wie der kochend heiße Strom, der in ihr anschwoll, sich in langen, niedrigen, wogenden Brechern durch ihn wälzte und all die öden, leeren Tiefen seines verdorrten Geistes überschwemmte. Er war durchtränkt von Kraft, er ertrank in Kraft. Sie ergoss sich in ihn, in Magen und Lunge, Mund und Augen, fließend, erfüllend, ansteigend, überlaufend in einer großen goldenen Welle. Undeutlich hörte er Rufen wie von Rettern am Strand, als die Flut der Kraft ihn erfasste und davontrug. Er mühte sich ab, den Strom, der in ihm brüllte, in eine Bahn zu lenken, indem er ihn auf den Pfad von Madadhs Schmerz dirigierte und spürte, wie er schäumte und wühlte inmitten dieses Durcheinanders aus zerstörtem Gewebe und versagenden Organen.
    Der Hund gähnte, erschauerte und kam taumelnd hoch. Neuerliche Rufe, neuerliche Schatten, ein Gestöber aus Bewegung am Rande des Stroms. Magie brauste in seinem Kopf und schoss durch seine Adern.
    Die Welle brach sich in gleißend hellen Splittern aus Azur und Topas. Lucy sackte aufschreiend zusammen. Die magische Woge verebbte und ließ Conn blind und atemlos zurück. Der Hund war vollkommen genesen. Nur das Mädchen lag bewusstlos auf dem blutigen Boden.
     
    Ihr Bewusstsein kehrte bruchstückhaft zurück, wie Licht, das sich den Weg durch eine Jalousie bahnt. Lucy seufzte. Ihr Bett war uneben. Ihre Wange ruhte auf etwas Hartem. Etwas Hartem, aber überraschend Bequemem.
    Sie wollte sich nicht bewegen. Zum Teufel, sie war sich nicht einmal sicher, ob sie die Augen öffnen konnte. Sie fühlte sich schwach, benommen und leer, als ob sie tagelang mit Grippe im Bett gelegen hätte.
    »Sollen wir eine Trage für die
targair inghean
bauen?«, fragte jemand.
    »Nein.« Die tiefe Stimme zerzauste ihr Haar. Sie roch Ruß und Schweiß und den wilden Salzduft des Meeres. »Ich werde sie tragen.«
    Sie erkannte diese Stimme. Conns Stimme. Sie saß auf seinem Schoß und wurde von seinen Armen gewiegt. Seine harte Brust bewegte sich in seinem Atemrhythmus, auf und ab, wie der Ozean.
    »Mein Prinz … Eure Hand …«
    »Ich werde sie tragen«, wiederholte Conn in seinem herablassenden Legt-euch-besser-nicht-mit-mir-an-Ton.
    Sie lächelte an seiner Schulter.
    Der Arm, der ihr als Kissen diente, spannte sich an. »Lucy.« Ein einziges Wort, heiser vor Hoffnung.
    Sie entdeckte, dass sie ihre Augen doch öffnen konnte.
    Seine silbernen Augen leuchteten in seinem harten, sorgenvollen Gesicht.
    Es schnürte ihr das Herz zusammen. Etwas war passiert, dachte sie. Gut? Schlecht? Sie erinnerte sich daran, neben ihm gekniet zu haben, und an den Hund …
    Sie befeuchtete die Lippen. »Madadh?«
    Conns Blick flackerte. »Hier«, antwortete er.
    Der Hund drängte sich zappelnd nach vorn. Instinktiv streckte sie ihm die Hand entgegen, die mit weichen, feuchten Küssen bedeckt wurde. Sie rieb den schweren Schädel des Hundes und tätschelte seine schmutzige, blutverkrustete Flanke.
    Sie blinzelte. Seine unversehrte Flanke.
    »Ich verstehe nicht …«
    »Du hast sie geheilt«, erklärte Conn, ohne sie aus den Augen zu lassen. »Beide, Madadh und Iestyn.«
    Es wurde hohl in ihrer Brust. Das Blut dröhnte in ihren Ohren. »Ich habe nichts …«
    Sie unterbrach sich, als ihr die große goldene Welle wieder einfiel,

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