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Meereskuss

Meereskuss

Titel: Meereskuss
Autoren: Virginia Kantra
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weinte.
    Ihre Tränen waren wie süßer Balsam, wie kostbarer Regen für ihn. Er schreckte auf, versuchte, Kraft für eine Antwort aufzubringen, ihr für ihre Tränen zu danken, aber es war nicht genug übrig von ihm, um zu reagieren.
    Er schloss die lidlosen Augen und brannte weiter.
    Aber ihre Stimme wollte ihn nicht gehen lassen.
    Ihre Worte tropften in seine ausgedörrte Seele, rannen durch seine Adern, sickerten ins Mark seiner Knochen. Ihre goldenen Tränen öffneten Kanäle für nachfolgende Ströme, Quellen der Kraft, Rinnsale der Macht. Die Ströme von Griff, Morgan, Enya vereinigten und vermischten sich. Die Quelle wurde zum Bach und der Bach zum reißenden Strom, der durch Conn donnerte wie eine Springflut. Er war zerschunden, geblendet, ertaubt, dankbar.
    Die goldene Flut brauste den Spalt entlang und bahnte sich brennend den Weg durch seine Seele, ertränkte das Brüllen des Feuers und überschwemmte die Schwelle zur Hölle. Er wurde erfasst, ergriffen von einer riesigen Welle der Kraft, die ihn emporschleuderte und ans Ufer warf.
    Als er die Augen öffnete, befand er sich in den Höhlen unter dem Schloss, und Lucy hielt ihn fest, als wollte sie ihn nie wieder loslassen.
    Mit Tränen in den Augen lächelte sie ihn an. »Willkommen daheim.«
     
    »Gehen wir spazieren?«, fragte Conn mit seiner kühlen, gleichmütigen Stimme.
    Beim Wort »spazieren« sprang Madadh vom Kamin auf. Bei der bloßen Aussicht auf diese kleine Flucht begann er zu hecheln.
    Lucy wusste genau, wie sich der Hund fühlen musste. »Draußen vor den Mauern?«
    Conn nickte.
    Sie sah auf das Schwert an seiner Hüfte. »Ist es sicher?«
    »Das Portal ist geschlossen«, erinnerte er sie. »Dank dir.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich hatte keine Ahnung, was ich da tat.«
    »Du hast uns vereint. Du hast unsere Macht verstärkt.«
    »Habe ich das? Ich wollte nur … Ich musste einfach
etwas unternehmen
, weißt du?«
    »Ja.«
    Er musste nicht mehr sagen. Mehr als jeder andere verstand der Sohn des Llyr, dass man angesichts einer erdrückenden Übermacht tat, was man konnte, mit dem, was man hatte.
    Er sah nicht … so alt aus, wie er war. Aber er wirkte heute Abend müde. Menschlich. Die Strapazen des Tages hatten die Furchen in seinen Mundwinkeln vertieft und die Haut über seinen Wangenknochen straffer gezogen. Sorge schnürte ihr die Kehle zu.
    »Ich hole meinen Mantel«, sagte sie.
    Er lächelte ihr zu, ein seltenes, strahlendes Lächeln, das sein strenges Gesicht verwandelte. Doch die Schatten lauerten weiter in seinen Augen.
    Augen eines Kriegers, dachte sie mit einem weiteren kurzen Anflug von Besorgnis. Sie hatte ihn von der Schwelle zur Hölle zerren können, aber sie konnte ihm die Erinnerung an das, was er durchgemacht hatte, genauso wenig erleichtern, wie sie Caleb hatte helfen können, als er aus dem Irak heimgekehrt war.
    Als sie ihren Mantel von der Garderobe nahm, schoss ihr eine Erinnerung durch den Kopf: Conn, wie aus Marmor und Mondlicht gemeißelt, wie er aufs Meer hinausblickte, so müde, so stolz, so allein.
    Nun, jetzt war er nicht mehr allein.
    Sie zog das Seehundfell von ihrem Bett und drehte sich zu ihm um. Ihr Herz hämmerte in der Brust. »Ich bin so weit«, sagte sie.
    Er erstarrte.
    Sie stammelte eine Erklärung. »Ich dachte … Nach dem Tag, den du hattest … Hier.« Sie hielt ihm das Fell hin.
    Er rührte keinen Finger, um es entgegenzunehmen. »Du gibst mich frei.«
    Hörte sie ein Fragezeichen am Ende des Satzes?
    »Ich denke schon.« Er war ein Kind der See. Die See konnte ihn heilen. In ihre Geste hatte sie nicht mehr Bedeutung gelegt als das. Aber … »Ich meine: ja. Ich will nicht, dass du dich wie mein Gefangener fühlst.«
    Er hob die Augenbrauen. »Ihr Menschen habt ein Sprichwort: Wenn du ein Leben rettest, gehört es dir. Du hast heute mehr als mein Leben gerettet.«
    »Und du hast meines gestern gerettet.«
    »Nachdem ich dich gegen deinen Willen hierhergebracht hatte«, wandte er ein. »Ich wollte nur, dass wir quitt sind.«
    Sie schluckte. Sie war nicht gut darin, Gefühle in Worte zu fassen. In ihrer Familie machte man das nicht. Und Selkies hatten vermutlich gar keine Gefühle, über die man hätte sprechen können. Aber in einer Mischung aus Verletztheit und Anstand platzte es aus ihr heraus: »Zur Hölle mit dem Quittsein. Ich rechne verdammt noch mal nichts auf, okay? Ich bin hier, weil ich hier sein will. Ich entscheide mich, hier zu sein. Jetzt. Bei dir.«
    Seine silberfarbenen Augen
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