Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meerestochter

Meerestochter

Titel: Meerestochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena David
Vom Netzwerk:
Schärfe der Steine nicht unterschätzen, sie schneiden wie Messer. Es kommt vom Aufprall, vom wieder und wieder Geschleiftwerden über den sandigen Grund. Das Meer ist immer in Bewegung.» Er wählte seine Worte mit Bedacht, wusste aber, dass sie Bilder erzeugten.
    «Und voller Fische.» Adrian spuckte das Wort aus. «Und Krabben. Conger.» Er dachte an das Exemplar im Bootshaus, das das Wrack der
Lady Blue
bewohnte wie ein böser Geist.
    «Erstaunlicherweise nicht, nein», widersprach Morningstar. «Ich fand an Ihren Eltern keinerlei Fress… keine Spuren dieser Art. Ein glückliches Schicksal hat sie davor bewahrt, Mr. Ames.»
    «Da sollte ich wohl froh sein.»
    Morningstar hob abwehrend die Hände.
    «Da kommt deine Tante.» Ondra war so erleichtert, dass sie aufsprang.
    Rose Ames kam eilig näher. «Entschuldigt», sagte sie. «Ich möchte euch nicht stören. Aber ihr hattet die Scones vergessen, und ich dachte … Wenn ich natürlich gewusst hätte, dass ihr Gäste habt …» Neugierig musterte sie Morningstar, der sich erhob, um sich höflich vorzustellen.
    Rose schaute ihn lange und kritisch an. «Ich kenne Sie», stellte sie fest.
    «Ich kenne Sie auch», bestätigte er. «Ich habe Sie seinerzeit sogar oft gesehen. Aber Sie waren vermutlich zu traurig, um mich zu bemerken.»
    «Oh.» Rose errötete, als sie begriff. «Doch», murmelte sie dann leiser, «ich habe Sie schon wahrgenommen.» Sie räusperte sich verlegen und stellte ihre frisch gebackenen kleinen Kuchen ab. «Bitte», meinte sie und wies auf Morningstars vorigen Platz, «nehmen Sie doch wieder Platz. Und bedienen Sie sich bitte. Ich habe Marmelade dazu gemacht.»
    Adrian sprang auf. «Mir ist jetzt nicht nach Essen», sagte er.
    Ondra war sofort an seiner Seite. «Wir vertreten uns nur kurz die Beine», sagte sie, eine Floskel, die sie am selben Morgen von Rose aufgeschnappt hatte. Es klang schmerzhaft, tatsächlich war aber nur ein kurzes Gehen gemeint. Faszinierend. Sie wollte sich bei Adrian einhängen.
    «Danke auch», sagte der abwehrend, sobald sie außer Hörweite waren.
    Sein Ton ließ sie aufschauen. «Was …?», begann sie.
    «Dass du so überaus feinfühlig auf das Thema zu sprechen gekommen bist.» Er machte sich von ihr los. Schon eine ganze Weile fühlte er sich nicht gut. Solange Morningstar dabei war, hatte er sich zusammenreißen müssen. Jetzt brach sich seine schlechte Laune ungehindert Bahn.
    «Aber ich …» Ondra war völlig überrumpelt. «Ich wollte doch nur …»
    «Ja, schon klar. Eigentlich wolltest du nur über Tiefseefischen und deinen tollen Papa reden. Hab ich gemerkt.»
    «Das ist gemein», sagte Ondra.
    «Und wieso bespringt diese blöde Töle dich dauernd?»
    «Das ist ein Labrador.» Langsam wurde auch Ondra ärgerlich. «Was ist denn bloß mit dir los, Adrian? Eben sagst du mir noch, ich bin der Mensch, mit dem du am liebsten auf der ganzen Welt zusammen bist, und jetzt auf einmal …»
    «Eben hatte mir auch noch niemand erzählt, dass meine Eltern mit Wunden übersät aus dem Wasser gezogen wurden. ‹Wie nach einem Kampf›», zitierte er entgeistert den Gerichtsmediziner. «Danke auch vielmals. Und du machst fröhlich Konversation.»
    Ondra wurde bleich. So viele Fragen gingen ihr durch den Kopf. Aber sie wusste, sie würde keine davon mit Adrian besprechen können. Mit niemandem mehr auf dieser Welt, um genau zu sein. Da war keiner mehr, den sie hätte fragen, dem sie ihre Zweifel hätte anvertrauen können. Keiner, vor dem sie sich nicht verstellen musste. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so alleine und hilflos gefühlt. «Aber …», Ondra suchte verzweifelt nach den richtigen Worten. «Er hat gesagt, das wäre ganz normal.»
    «Normal!», fauchte Adrian. «Was soll daran normal sein? Was ist normal daran, dass man nach fünfzehn Jahren die Reste des Frühstücks vorfindet, das die eigenen Eltern kurz vor ihrem Tod gegessen haben? Und die eigenen Hosen, die einem nicht mehr passen, weil man nicht mehr sechs ist. Verdammt.» Tränen schossen ihm in die Augen.
    Ondra streckte die Hände nach ihm aus. Doch er wandte sich ab.
    Der Nixe wurde es kalt. Sie hatte doch nur Adrian! Aber sie begriff ihn nicht. Und er wollte es nicht erklären. Warum nur war er wütend auf sie? Und wenn er sie jetzt wegschob, wo sollte sie dann hin? «Was habe ich denn falsch gemacht?», fragte sie kläglich.
    «Hast du ja gar nicht», schnauzte Adrian. «Kannst du nicht akzeptieren, dass es gerade mal nicht um dich

Weitere Kostenlose Bücher