Meerjungfrau
entzückt in die Hände. »Welch ein Segen.«
»Haben Sie Kinder?«, fragte Erica mit vollem Mund.
Janos Kovács streckte die Brust raus. »Ich habe zwei feine Söhne. Jetzt erwachsen. Beide haben Arbeit. Bei Volvo. Fünf Enkelkinder habe ich auch.«
»Und Ihre Frau?«, fragte Erica vorsichtig und blickte sich um. In dieser Wohnung schien keine Frau zu leben. Janos Kovács strahlte noch immer, aber sein Lächeln war matter geworden.
»Ungefähr vor sieben Jahren kam sie eines Tages nach Hause und sagte: âºIch ziehe aus.â¹ Dann war sie weg.« Er zuckte die Achseln. »Da bin ich hier eingezogen. Wir wohnten schon in diesem Haus, in einer Dreizimmerwohnung ein Stockwerk tiefer.« Er zeigte nach unten. »Aber als ich frühpensioniert wurde und meine Frau mich verlassen hat, konnte ich dort nicht mehr bleiben. Zur selben Zeit lernte Christian ein Mädchen kennen und wollte umziehen, da bin ich hier eingezogen. Am Ende war alles bestens«, rief er und schien es wirklich ernst zu meinen.
»Sie haben Christian also gekannt?« Erica nippte am Kaffee. Auch er schmeckte richtig gut.
»Was heiÃt kennen? Wir sind uns hier im Haus recht oft über den Weg gelaufen. Ich bin ziemlich geschickt«, Janos Kovács hielt die Hände hoch, »und ich helfe, wo ich kann. Christian konnte nicht einmal eine Glühbirne wechseln.«
»Das kann ich mir vorstellen«, schmunzelte Erica.
»Kennen Sie Christian? Warum fragen Sie nach ihm? Es ist schon lange her, dass er hier gewohnt hat. Es ist doch nichts passiert?«
»Ich bin Journalistin.« Diesen Vorwand hatte sie sich während der Autofahrt zurechtgelegt. »Christian ist jetzt Schriftsteller, und ich schreibe einen groÃen Artikel über ihn. Daher versuche ich, etwas mehr über seine Vergangenheit herauszufinden.«
»Christian ist Schriftsteller? Nicht schlecht! Er hatte ja auch immer ein Buch in der Hand. Und eine ganze Wand in der Wohnung war mit Büchern bedeckt.«
»Wissen Sie, was er beruflich gemacht hat, als er noch hier wohnte? Wo hat er gearbeitet?«
Janos Kovács schüttelte den Kopf. »Nein, das weià ich nicht. Und ich habe auch nie gefragt. Man muss ein bisschen Respekt vor seinen Nachbarn haben. Darf sich nicht einmischen. Wenn jemand etwas von sich erzählen möchte, tut er es von alleine.«
Das klang nach einer gesunden Lebenseinstellung, und Erica hätte es begrüÃt, wenn in Fjällbacka mehr Leute dieser Ansicht gewesen wären.
»Hatte er viel Besuch?«
»Nie. Im Grunde hat er mir ein bisschen leidgetan. Er war immer allein. Dafür ist der Mensch nicht gemacht. Wir brauchen Gesellschaft.«
Da hatte er vollkommen recht, dachte Erica und hoffte, Janos Kovács selbst bekäme auch hin und wieder Besuch.
»Hat er etwas zurückgelassen? Im Keller oder so?«
»Als ich kam, war alles leer. Nichts mehr da.«
Erica beschloss, es aufzugeben. Janos Kovács schien nicht mehr über Christians Leben zu wissen. Sie bedankte sich für seine Gastfreundschaft und lehnte freundlich, aber entschieden das Angebot ab, eine Tüte Kekse mitzunehmen.
Sie war schon auf dem Weg zur Tür, als Janos Kovács sie aufhielt.
»Wie konnte ich das bloà vergessen? Werde wohl langsam senil.« Er tippte sich an die Stirn und machte auf dem Absatz kehrt. Als er nach wenigen Minuten zurückkehrte, hatte er etwas in der Hand.
»Würden Sie Christian das hier übergeben, wenn Sie ihn sehen? Sagen Sie ihm, dass ich seine Anweisung befolgt und die ganze Post, die für ihn kam, weggeschmissen habe. Aber die hier ⦠Es kam mir etwas seltsam vor, sie wegzuwerfen. Seit seinem Umzug kamen jedes Jahr einer oder zwei davon. Da möchte eindeutig jemand Kontakt mit ihm aufnehmen. Da ich seine neue Adresse nicht hatte, habe ich sie aufbewahrt. Geben Sie ihm die Briefe und richten Sie ihm GrüÃe von Janos aus.« Mit seinem strahlenden Lächeln auf dem Gesicht überreichte er ihr ein Bündel weiÃer Umschläge.
Ericas Hände zitterten, als sie es entgegennahm.
Auf einmal war das Haus so leer. Er setzte sich an den Küchentisch und legte den Kopf in die Hände. Hinter seinen Schläfen pochte es, und der Juckreiz hatte wieder angefangen. Am ganzen Körper verspürte er ein Brennen, und ein stechender Schmerz durchfuhr ihn, als er die Wunde in seiner Handfläche aufkratzte. Mit
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