Meerjungfrau
ihn telefonisch informiert. Sie hatte ihm geraten, wachsam zu sein und sich gegebenenfalls zu melden. Er hatte sich freundlich bedankt und gesagt, das sei nicht nötig. Er hatte zwar nicht die geringste Ahnung, wer es auf sie abgesehen hatte, aber er würde nicht tatenlos abwarten, bis er an der Reihe war. Auch diesmal würde er sich die Macht über sein Leben nicht aus der Hand nehmen lassen.
Wie zum Beweis, dass er längst nicht so ruhig war, wie er sich einzureden versuchte, brach ihm der Schweià aus. Das Mobiltelefon lag noch in seiner Hand. Mit zitternden Fingern wählte er Kenneths Handynummer. Fünfmal klingelte es, dann meldete sich der Anrufbeantworter. Wütend knallte Erik das Telefon auf den Schreibtisch. Er beschloss, besonnen und in Ruhe alles zu durchdenken, was nun getan werden musste.
In dem Moment klingelte das Telefon. Erik zuckte zusammen und sah auf das Display. Kenneth.
»Hallo?«
»Ich konnte nicht sofort ans Telefon gehen«, sagte Kenneth. »Jemand muss mir das Headset aufsetzen. Ich kann das Telefon nicht halten.« In seiner Stimme schwang nicht ein Funken Selbstmitleid mit.
Erik kam der Gedanke, er hätte Kenneth vielleicht im Krankenhaus besuchen oder ihm wenigstens Blumen schicken sollen. Aber er konnte sich nicht um alles kümmern, und einer musste schlieÃlich im Büro bleiben. Kenneth würde das sicher verstehen.
»Wie geht es dir?«, fragte er mit gespieltem Interesse.
»Gut«, erwiderte Kenneth. Er kannte Erik lange genug, um zu wissen, dass er keinen Anteil an seinem Schicksal nahm.
»Es gibt traurige Neuigkeiten.« Am besten kam er sofort zum Punkt. Kenneth wartete schweigend ab. »Christian ist tot.« Erik zerrte an seinem Hemdkragen. Der SchweiÃausbruch war immer noch nicht überstanden, und der Hörer in seiner Hand wurde allmählich feucht. »Ich habe es vor kurzem erfahren. Die Polizei hat angerufen. Er hängt am Sprungturm auf Badholmen.«
Immer noch Schweigen.
»Hallo? Hast du gehört, was ich gesagt habe? Christian ist tot. Mehr hat die Polizistin nicht verraten, mit der ich gesprochen habe, aber man kann sich ja leicht ausrechnen, dass es dieselbe geisteskranke Person war, die hinter allem anderen steckt.«
»Stimmt. Sie war es«, sagte Kenneth nach einer Pause eiskalt.
»Wie meinst du das? WeiÃt du, wer es war?« Erik schrie beinahe. Kannte Kenneth etwa den Mörder und hatte nichts gesagt? Wenn ihm niemand zuvorkam, würde er ihn eigenhändig erwürgen.
»Auf uns hat sie es auch abgesehen.«
Kenneth strahlte eine zutiefst unheimliche Ruhe aus. Erik bekam eine Gänsehaut. Einen Moment lang fragte er sich, ob Kennethâ Kopf vielleicht etwas abbekommen hatte.
»Wärst du bitte so freundlich, mich in alles einzuweihen?«
»Dich spart sie sich wahrscheinlich bis zum Schluss auf.«
Erik musste sich zusammenreiÃen, um das Handy nicht vor Wut auf den Tisch zu donnern. »Wer ist es?«
»Das hast du wirklich nicht begriffen? Hast du schon so viele Frauen erniedrigt und verletzt, dass du sie nicht mehr auseinanderhalten kannst? Ich hatte es leicht. Sie ist der einzige Mensch, dem ich jemals weh getan habe. Keine Ahnung, ob Magnus ahnte, dass sie hinter ihm her war. Aber ich weiÃ, dass er darunter litt. Das hast du wahrscheinlich nie getan. Dir hat nie schlaflose Nächte bereitet, was du getan hast.« Kenneth klang nicht empört oder vorwurfsvoll, sondern immer noch gefasst.
»Was faselst du da?« Erik schwirrte der Kopf. Eine vage Erinnerung, ein Bild, ein Gesicht. Da tauchte etwas auf. Es war so tief begraben gewesen, dass es von alleine nie wieder an die Oberfläche gekommen wäre.
Er klammerte sich an den Hörer. Konnte es �
Kenneth blieb stumm, und Erik brauchte nicht zu sagen, dass er auch Bescheid wusste. Sein Schweigen war eindeutig. Ohne ein Wort des Abschieds brach er das Gespräch ab und verdrängte die Gewissheit, die ihm aufgezwungen worden war.
Dann öffnete er sein E-Mail-Programm und erledigte zügig die notwendigen Dinge. Jetzt eilte es.
Kaum hatte er Ericas Auto in der Einfahrt von Sannas Schwester erblickt, bekam er ein mulmiges Gefühl im Bauch. Erica hatte die Tendenz, sich in Dinge einzumischen, die sie nichts angingen, und obwohl er seine Frau oft für ihren Wissensdurst und die Fähigkeit bewundert hatte, durch ihre Neugierde brauchbare Ergebnisse zu erzielen, schätzte er
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