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Meerjungfrau

Meerjungfrau

Titel: Meerjungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Läckberg
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anbrüllten. »Mensch, Oskar, konzentrier dich mal ein bisschen«, oder »Verflucht noch mal, jetzt lauf endlich, Danne!«. Von Vater kam so etwas nie. Nur »Prima, Ludvig«, »Schöner Pass!«, »Jetzt habt ihr sie!«.
    Aus dem Augenwinkel sah er einen Pass auf sich zukommen und leitete den Ball routiniert weiter. Die Freude am Spiel hatte er verloren. Um sie wiederzufinden, rannte er wie ein Verrückter und holte trotz der eisigen Kälte das Letzte aus sich heraus. Er hätte sich gehenlassen und alles auf die schlimmen Ereignisse schieben können. Auf Training und Mannschaft pfeifen können. Niemand hätte ihm Vorwürfe gemacht, alle hätten Verständnis gezeigt. Außer Vater. Aufgeben kam für ihn nie in Frage.
    Deshalb war er hier. Bei seinem Team. Doch Spielfreude kam nicht auf. Kein Mensch an der Seitenlinie. Vater war nicht mehr da. Jetzt wusste er es genau. Vater war nicht mehr da.

E r durfte nicht im Wohnwagen sitzen. Das war die erste einer ganzen Reihe von Enttäuschungen bei diesem sogenannten Urlaub. Nichts war, wie er es sich erhofft hatte. Da die nur von harten Worten unterbrochene Stille sich hier nicht in einem ganzen Haus ausdehnen konnte, wirkte sie noch kompakter. Urlaub bedeutete offenbar noch mehr Zeit für Streit und für Mutters Wutanfälle. Vater wirkte noch kleiner und blasser.
    Für ihn war es zwar das erste Mal, aber er hatte verstanden, dass Mutter und Vater jedes Jahr mit dem Wohnwagen diesen Ort mit dem seltsamen Namen besuchten. Fjällbacka. Berghügel. Er sah keine Berge und nur wenige Hügel. Auf dem Campingplatz, wo sie eingeklemmt zwischen den vielen anderen Wohnwagen standen, war der Boden vollkommen flach. Er war nicht sicher, ob es ihm dort gefiel, aber Vater hatte ihm erklärt, dass Mutters Familie aus Fjällbacka stammte und sie deshalb dorthin wollte.
    Auch das war merkwürdig, denn er bekam die Familie nie zu Gesicht. Im Laufe der vielen Streitereien auf engem Raum hatte er schließlich begriffen, dass es hier eine Frau gab, die nur die Alte genannt wurde. Offenbar war sie die Familie. Ulkiger Name. Mutter schien sie nicht zu mögen, denn wenn sie von ihr sprach, klang ihre Stimme noch schärfer. Außerdem sahen sie sie nie. Warum waren sie überhaupt hergekommen?
    Das Schlimmste an Fjällbacka und dem ganzen Urlaub war das Wasser. Nie zuvor hatte er im Meer gebadet. Zuerst wusste er gar nicht, was er davon halten sollte, aber Mutter spornte ihn an. Sie wollte keinen Waschlappen als Sohn und ermahnte ihn, sich nicht so anzustellen. Also holte er tief Luft und watete zögerlich ins Wasser, obwohl vor Salz und Kälte fast sein Herz stillstand. Als ihm das Wasser bis zur Taille reichte, ging er nicht weiter. Es war einfach zu kalt. Er bekam keine Luft. Außerdem hatte er das Gefühl, dass an seinen Füßen und Waden etwas krabbelte, als ob da etwas auf ihn zukroch. Mutter kam zu ihm und nahm ihn mit ins Tiefe. Plötzlich war er glücklich. Seine Hand in Mutters Hand und ihr Lachen, das von der Wasseroberfläche widerhallte und ihn einhüllte. Seine Füße bewegten sich wie von selbst, sie schienen sich vom Grund zu lösen und zu schweben. Schließlich hatte er keinen festen Boden mehr unter den Füßen, aber das machte nichts, denn Mutter hielt ihn, trug ihn und liebte ihn.
    Dann ließ sie los. Er fühlte, wie ihm zuerst ihre Handfläche und dann auch die Finger und die Fingerkuppen entglitten, bis nicht nur seine Füße, sondern auch seine Hände im Nichts Halt suchten. Wieder spürte er die Kälte an der Brust, denn das Wasser schien zu steigen, es reichte ihm bald bis zu den Schultern und zum Hals. Er hob das Kinn, damit ihm das Wasser nicht auch in den Mund schwappte, aber es kam viel zu schnell auf ihn zu, floss ihm über die Lippen und rann kalt und salzig seine Kehle hinunter, stieg weiter, über die Wangen und die Augen, bis es sich wie ein Deckel über seinen Kopf stülpte. Alle Geräusche verstummten, und er hörte nur noch das Rauschen von allem, was da krabbelte und kroch.
    Er fuchtelte wie wild mit den Armen und schlug nach dem, was ihn in die Tiefe saugen wollte, doch gegen die massive Wand aus Wasser kam er nicht an. Als er schließlich fremde Haut und eine Hand an seinem Arm spürte, wehrte er sich instinktiv. Dann wurde er gepackt. Sein Kopf stieß durch die Wasseroberfläche. Der erste Atemzug war brutal und

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