Meerjungfrau
erwiderte Mellberg ungeduldig und scheuchte sie hinaus. Er schien sich bereits das Hirn darüber zu zermartern, wie er die verschiedenen Aufgaben, die ein Mordfall mit sich brachte, auf andere abwälzen konnte.
Sein Leben lang hatte Erik alles im Griff gehabt. Er hatte die Entscheidungen gefällt, er war der Jäger gewesen. Nun wurde er selbst gejagt, von einem Unbekannten, den er nicht sehen konnte. Das machte ihm am meisten Angst. Es wäre alles viel leichter gewesen, wenn er gewusst hätte, wer es auf ihn abgesehen hatte. Aber er war ahnungslos.
Lange hatte er sich das Hirn zermartert und sein ganzes Leben Revue passieren lassen. Er war seine Frauen, seine Geschäftsbeziehungen, seine Freunde und seine Feinde durchgegangen. Zweifelsohne war bei manchen Verbitterung und Zorn zurückgeblieben. Aber Hass? Da war er sich nicht so sicher. Doch die Briefe strotzten geradezu vor Hass und Rachgier. Anders konnte man es nicht ausdrücken.
Erik hatte zum ersten Mal das Gefühl, allein auf der Welt zu sein. Plötzlich wurde ihm klar, wie verletzbar er war und wie wenig einem Ansehen und Erfolg nützten, wenn es darauf ankam. Er hatte sogar überlegt, ob er sich Louise anvertrauen sollte. Oder Kenneth. Aber er erwischte nie einen Moment, in dem Louises Blick nicht voller Verachtung war. Und Kenneth sah ihn immer so unterwürfig an. Beides war keine Vertrauensbasis. Wie sollte er da von den Sorgen erzählen, die er sich machte, seit er die Briefe bekam?
Er hatte niemanden, an den er sich wenden konnte. Ihm war klar, dass er sich selbst in diese Isolation manövriert hatte, und er war selbstkritisch genug, um zu wissen, dass er sich nicht anders verhalten würde, wenn er noch einmal von vorne anfangen könnte. Erfolg war verlockend. Ãberlegenheitsgefühle und die Bewunderung, die ihm entgegengebracht wurde, berauschten ihn. Er bereute nichts, aber er wünschte, er wäre nicht so allein gewesen.
Da er keine andere Möglichkeit hatte, musste er sich mit der zweitbesten Lösung begnügen. Sex. Nichts sonst verlieh ihm in diesem MaÃe das Gefühl, unbesiegbar zu sein. Gleichzeitig konnte er bei keiner anderen Sache so gut loslassen. Mit der Partnerin hatte das nichts zu tun. In all den Jahren waren es so viele verschiedene gewesen, dass er Namen und Aussehen nicht mehr miteinander in Verbindung brachte. Er wusste noch, dass eine der Frauen makellose Brüste gehabt hatte, aber an das dazugehörige Gesicht konnte er sich beim besten Willen nicht erinnern. Eine hatte so himmlisch geschmeckt, dass er immerzu mit der Zunge in ihr versinken wollte. Aber der Name? Er hatte keinen blassen Schimmer.
Im Moment war Cecilia seine Auserwählte, aber er glaubte nicht, dass sie in seinem Gedächtnis tiefe Spuren hinterlassen würde. Sie war mittelmäÃig. In jeder Hinsicht. Im Bett ganz passabel, aber Hören und Sehen verging ihm bei ihr nicht. Ihr Körper war so geformt, dass er ihn hochbekam, aber wenn er mit geschlossenen Augen zu Hause im Bett lag und sich selbst befriedigte, sah er sie nicht vor sich. Sie war für ihn da, und sie war willig. Das machte einen GroÃteil ihrer Anziehungskraft aus. Bald würde er sie satthaben.
Aber im Moment war sie gut genug. Ungeduldig klingelte er an ihrer Tür und hoffte, möglichst wenig Small Talk absolvieren zu müssen, bevor er in sie eindringen konnte und die Spannung endlich nachlieÃ.
Schon ihr Anblick in der Tür machte seine Hoffnung zunichte. Er hatte per SMS gefragt, ob er vorbeikommen dürfe, und ein Ja als Antwort erhalten. Nun sah er ein, dass er besser angerufen und sich vergewissert hätte, in welcher Stimmung sie war. Denn sie sah entschlossen aus. Man konnte nicht behaupten, dass sie verärgert oder wütend wirkte. Sie strahlte Entschlossenheit und Ruhe aus. Und das war sehr viel besorgniserregender, als wenn sie sauer gewesen wäre.
»Komm rein, Erik.«
Erik. Es verhieà nichts Gutes, wenn man so angesprochen wurde. Dem Gesagten sollte Nachdruck verliehen werden. Der Sprecher wollte die volle Aufmerksamkeit. Erik überlegte, ob er auf dem Absatz kehrtmachen sollte, um dieser Entschlossenheit aus dem Weg zu gehen.
Doch die Tür stand bereits weit offen, und Cecilia befand sich auf dem Weg in die Küche. Er hatte keine Wahl. Widerwillig machte er die Wohnungstür zu, hängte seine Jacke auf und folgte ihr.
»Gut, dass du gekommen bist. Ich wollte dich gerade
Weitere Kostenlose Bücher