Meerjungfrau
Wenigstens waren sie allein in der Bibliothek und konnten sich ungestört unterhalten. SchlieÃlich entschied sie sich für eine taktische Herangehensweise. Sie durfte nicht mit der Tür ins Haus fallen und May über Christian ausfragen, sondern musste sich vorsichtig an die Sache herantasten.
Ãchzend griff sie sich ins Kreuz und lieà sich auf einen Stuhl vor dem Tresen sinken.
»Du schleppst einiges mit dir herum. Zwillinge, wie ich gehört habe.« May sah sie mütterlich an.
»Ja, es sind zwei.« Erica strich sich über den Bauch und tat so, als müsste sie einen Moment verschnaufen. Im Prinzip brauchte sie sich kaum zu verstellen. Dankbar spürte sie, wie sich im Sitzen ihr unterer Rücken entspannte.
»Ruh dich aus.«
»Danke«, sagte Erica lächelnd und fügte nach einer Weile hinzu: »Hast du Christian heute Morgen im Fernsehen gesehen?«
»Leider habe ich ihn verpasst, weil ich zur Arbeit musste. Aber ich habe die Sendung aufgenommen. Glaube ich jedenfalls. Mit diesem DVD -Rekorder stehe ich immer noch auf KriegsfuÃ. Hat er seine Sache denn gut gemacht?«
»Mit Bravour! Das Buch ist aber auch toll.«
»Wir sind wahnsinnig stolz auf ihn«, strahlte May. »Bevor ich von der Veröffentlichung erfuhr, wusste ich gar nicht, dass er schreibt. Was für ein Buch! Und erst die Rezensionen!«
»Es ist wirklich phantastisch.« Erica verstummte für einen Augenblick. »Alle, die Christian kennen, müssen sich unheimlich für ihn freuen. Seine alten Kollegen tun das hoffentlich auch. Wo hat er noch mal gearbeitet, bevor er nach Fjällbacka kam?« Sie gab sich den Anschein, als wüsste sie es, käme nur im Moment nicht darauf.
»Hm â¦Â« Im Gegensatz zu Erica schien May tatsächlich ihr Gedächtnis zu durchforsten. »WeiÃt du, wenn ich so darüber nachdenke, habe ich eigentlich keine Ahnung. Wie merkwürdig. Andererseits war Christian vor mir hier. Wahrscheinlich haben wir nie darüber gesprochen, was er vorher gemacht hat.«
»Du weiÃt nicht zufällig, wo er herkommt und wo er wohnte, bevor er nach Fjällbacka zog?« Erica merkte selbst, dass sie eine Spur zu neugierig klang, und zwang sich zu einem etwas neutraleren Ton. »Bei dem Interview habe ich mich gefragt, woher er stammt. Ich hatte immer den Eindruck, er spräche SmÃ¥ländisch, aber heute Morgen meinte ich, noch einen anderen Dialekt herauszuhören, den ich nicht richtig einordnen konnte.« Die Notlüge war keine Glanzleistung, aber etwas Besseres fiel Erica auf die Schnelle nicht ein.
May schien sie zu schlucken. »Småländisch ist das nicht, das weià ich genau. Aber ansonsten habe ich auch keine Ahnung. Natürlich unterhalten wir uns bei der Arbeit, und Christian ist immer nett und entgegenkommend.« Sie schien nach einer Formulierung zu suchen. »Trotzdem habe ich das Gefühl, dass es bei ihm eine Grenze gibt. Bis hierhin und nicht weiter. Vielleicht ist das albern von mir, aber ich habe ihn noch nie nach persönlichen Dingen gefragt, weil er irgendwie signalisiert hat, dass er das nicht will.«
»Ich weiÃ, was du meinst«, sagte Erica. »Und nebenbei hat er auch nie etwas fallengelassen?«
Wieder musste May überlegen. »Nein, ich kann mich nicht ⦠Doch, warte mal â¦Â«
»Ja?« Erica verfluchte ihre eigene Ungeduld.
»Es war nur eine Kleinigkeit, aber ich hatte das Gefühl ⦠Einmal sprachen wir über Trollhättan, nachdem ich dort meine Schwester besucht hatte. Offenbar kennt er die Stadt. Dann schien er sich zu besinnen und redete von etwas anderem. Ich weià noch, dass mir das auffiel. Wie er plötzlich das Thema wechselte.«
»Hattest du das Gefühl, dass er dort mal gewohnt hat?«
»Ich glaube schon. Auch wenn ich es nicht mit Bestimmtheit sagen kann.«
Viel hatte sie nicht herausgefunden. Aber nun hatte sie immerhin einen Anhaltspunkt. Trollhättan.
»Komm rein, Christian!« Gaby empfing ihn an der Tür. Zögernd betrat er die weiÃe Wüste des Verlags. Die Schlichtheit des hellen Büros stand in krassem Gegensatz zum farbenfrohen und extravaganten Outfit der Chefin. Vielleicht war das auch beabsichtigt, denn vor diesem Hintergrund kam Gaby noch besser zur Geltung.
»Kaffee?« Sie zeigte auf eine kleine Garderobe, an der er seine Jacke aufhängte.
»Gerne.« Sie ging auf ihren
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