Meg Finn und die Liste der vier Wünsche
sie nicht erschießen, nur ein bisschen erschrecken. Dank seines wenig empfehlenswerten Umgangs war Belch Brennan mit Schrotflinten und ihrem Streumuster vertraut. Ihm war vollkommen klar, dass ein Schuss aus dieser Nähe den Gastank wahrscheinlich entzünden und sie beide zur Hölle jagen würde. Aber ein kleiner Warnschuss über Megs Kopf hinweg, das war eine andere Sache. Er richtete den Lauf fast senkrecht nach oben und drückte den Abzug.
Meg sah es in seinen Augen. Sie sah genau, was er tun wollte. War er denn wahnsinnig? »Nein, Belch – nicht!«
Doch es war zu spät. Sein Finger hatte sich bereits bewegt. Keine Zeit mehr, die Meinung zu ändern – obwohl Belch das ohnehin nicht vorhatte. Er grinste breit bei der Vorstellung, was für ein Gesicht Meg machen würde.
Der Knall war unvorstellbar. Er füllte die enge Gasse, dröhnte in Megs und Belchs Kopf und zerriss ihnen die Trommelfelle. Doch das machte ihnen nichts mehr aus, denn da waren sie bereits tot.
Eine kleine Schrotkugel war schuld. Ein winziges Kügelchen mit einer Kerbe in der Rundung. Einer Kerbe, die wie eine Steuerflosse wirkte und die Kugel von ihrer vorgesehenen Flugbahn ablenkte. Und bei ihrem Abwärtsflug brachte der Luftwiderstand sie innerhalb einer Nanosekunde zum Glühen. Von einem Gastank neueren Datums wäre sie abgeprallt, doch dieser hier hätte schon vor Jahren ersetzt werden sollen. Das rostige Metall gab unter dem lächerlichen Aufprall nach und brachte die weiß glühende Kugel in Verbindung mit dem hochexplosivem Gas – KAWUMM!
Ein verkohltes Metallstück prallte gegen Meg Finn und schlug ihr glatt die Seele aus dem Leib.
Die ersten Momente als Geist sind ziemlich irritierend. Der Verstand denkt, alles sei so wie immer, und versucht, die Gesetze der Physik auf die Geisterwelt anzuwenden. Wie kann ich durch einen riesigen Tunnel fliegen und gleichzeitig auf mich selbst hinunterblicken, während ich ausgestreckt zwischen den Resten eines Gastanks auf dem Boden liege? Vollkommen unmöglich. Schlussfolgerung: Ich träume.
Aha, sagte sich Meg Finn, ich träume. Zur Abwechslung sogar mal einen angenehmen Traum. Kein Stiefvater mit der Axt oder Scharen von Bullen, die versuchten, sie in einen Polizeitransporter zu verfrachten. Sie beschloss, sich einfach zu entspannen und es zu genießen.
Der Tunnel war so weit, dass er endlos schien. Die Illusion wurde jedoch von Ringen aus blauem Licht zerstört, die über seine ganze Länge pulsierten wie der Herzschlag eines Fabelwesens. Es gab noch andere Punkte, die mit ihr in der flirrenden Luft schwebten. Diese Stäubchen waren, wie Meg bemerkte, in Wirklichkeit Menschen.
Menschen, die durch einen Tunnel schwebten? Hatte sie das nicht schon mal irgendwo gehört? Irgendwas über einen Tunnel und ein Licht.
Aha, sagte sich Meg Finn, ich bin tot. Sie wartete darauf, dass die Erkenntnis sie mit voller Wucht traf. Nichts. Kein Schock. Kein Geschrei, kein wildes Schluchzen. Es war, als hätte der Tunnel ihr Gehirn betäubt. Andererseits war ihr Leben ohnehin nicht gerade der Knüller gewesen. Wahrscheinlich sollte sie froh sein, dass sie es hinter sich hatte. Vielleicht würde sie sogar Mam wiedersehen. Aber ihre Mutter war bestimmt im Himmel, und Meg bezweifelte, dass sie selbst dort landen würde.
Vielleicht konnte sie Petrus ja mit der Masche vom schlechten sozialen Umfeld herumkriegen. Ich kann nichts dafür, die Gesellschaft ist schuld, blablabla. Hatte beim Jugendgericht immer funktioniert. Kein Auge war trocken geblieben, wenn Meg ihnen die Geschichte vom Unfall ihrer Mutter vorgeschluchzt hatte. Aber der Himmel war vielleicht eine härtere Nuss.
Jemand rief ihren Namen. Wahrscheinlich ein Engel, beauftragt, sie beim Anflug auf die himmlische Landebahn einzuweisen. Obwohl es für einen Engel etwas zu wuffig klang. Schließlich stellte man sich ja immer vor, dass Engel Harfe spielten und dazu sangen, mit Stimmen wie … na ja, eben wie Engel. Das hier klang eher, als kaue jemand auf einer Ladung Teer herum.
Langsam wandte Meg sich um. Sie war nicht die Einzige, die in diesem Strömungsabschnitt trieb. Jemand, beziehungsweise etwas, trudelte neben ihr her. Im einen Moment war es ein Hund, im nächsten ein Junge. Unter der menschlichen Haut blubberten die Züge eines Hundes hervor, wie der Effekt eines Computerspiels. Es sah schrecklich aus. Grotesk. Aber auch seltsam vertraut.
»Belch?«, fragte Meg zögernd. »Bist du das?«
Ihre Stimme klang eigenartig. Irgendwie löchrig. Und
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