Mehr als ein Sommer
Kälte geschubst worden.
Während sich der Mond auf einer Seite schief über den Hügeln aus verwehtem Schnee in den Winterhimmel erhob — bis zum Vollmond waren es noch drei Tage — , taten ihm die Zehen weh, seine Ohren brannten, und Schneeflocken sanken in Strudeln auf sein Haar und seine Schultern. Vor ihm fuhr auf einer Straße, die ins Ungewisse führte, die Frau, die er liebte. Und im Rücken hatte er Calgary und die Farm in Millarville, einen Neubeginn. Allein. Bis morgen würde das Butterbrot fad und vertrocknet sein, so wie seine Aussichten auf ein Leben mit Angela. Hatte Helen ihm nicht gesagt, dass Angela ihn abweisen würde? Wie konnte er sie von seinen Absichten überzeugen, davon, dass er Potenzial hatte, gerettet zu werden... nein, das nicht, aber wie konnte er sie von seinem starken Charakter überzeugen, von seiner unsterblichen Liebe? Er erinnerte sich an Helens Unsicherheit im Hinblick auf Angelas Ausflüge nach Calgary. War da bei ihr in dem Truck ein anderer Mann? Er sollte zu seinem Wagen zurückgehen, nach Calgary zurückfahren. Mit quietschenden Stiefeln drehte Trevor sich im Neuschnee um. »Nein, Trevor. Man muss was riskieren«, flüsterte Constance’ Stimme in sein linkes Ohr. »Ein Mädchen möchte umworben werden«, sprach Helen in sein rechtes.
Zwei törichte alte Frauen. Sie meinten es gut, aber wie konnte er sich in Angelas Leben einmischen und verlangen, dass sie ihn anhörte? Sie würde ihn sicher hassen. Sie wusste, wo sie ihn hätte finden können, wenn sie ihn gewollt hätte. Er schob die Stimmen in seinem Kopf von sich, aber sie ließen sich nicht beirren. »Riskier was. Umwirb sie. Riskier was.«
»Verdammt noch mal!«, rief er laut und traf eine Entscheidung... Die Entscheidung, das Risiko einzugehen, den Rücklichtern in die Nacht hinein zu folgen und das Beste zu hoffen.
23
Am ersten Tor begannen die Reifen seines Wagens durchzudrehen in dem Schnee, der so tief war, dass die Stoßstangen darin versanken, und als er das zweite Tor erreichte, steckte er hoffnungslos fest. Er versuchte die Reifen mit der Schneeschippe, die er immer im Kofferraum mitführte, freizuschaufeln, doch nach zehn Minuten war er schweißnass und hatte nur so geringe Fortschritte gemacht, dass er sich weitere Mühe sparte. Vor ihm schnitten im Licht seiner Scheinwerfer die Reifenspuren des Trucks tiefe Furchen in die ansonsten unberührte Landschaft. Er war inzwischen überzeugt, dass sie zur Hütte führten. Ein Fußweg von etwa fünfzehn Minuten. Er wärmte seine verkrampften Finger über dem Heizgebläse, zog dann seine Handschuhe an, nahm eine Taschenlampe von der Ablage und steckte sie ein, dann schaltete er den Motor ab. Nach einigem Hin und Her steckte er die Butterbrottüte vorn ins Innere seiner Jacke und machte sich in den Reifenspuren zu Fuß auf den Weg.
Das Laufen erwies sich als schwieriger, als Trevor erwartet hatte. Der schmale Schein der Taschenlampe beleuchtete seinen Weg immer nur für die nächsten vier Schritte, und seine Stiefel versanken in dem lockeren Schnee am Grund der Radspuren, wodurch er nur langsam vorankam. Die Windböen waren so heftig, dass sie den Pfad zuzuwehen drohten. An einigen Stellen watete er durch kniehohen Pulverschnee, und die Kälte kroch durch seine unangemessene Kleidung. Er wusste, dass er nicht aufhören durfte, sich zu bewegen.
Während Trevor grübelte, was er Angela sagen sollte, glitt er aus und stürzte flach auf den Rücken, hinein in den eisigen Schnee. Im Fallen sah er durch die Augenwinkel zu seiner Linken eine Bewegung, und er drehte sich auf die Seite, um mit dem Lichtstrahl in die Nacht hineinzuleuchten. Ein bernsteinfarbenes Augenpaar glühte in der Dunkelheit.
»Caesar?«, rief er, doch dabei fiel ihm auf, dass er über den schlafenden Hund hatte hinwegsteigen müssen, um aus der Verandatür herauszukommen.
Das Tier trat in das zerstreute Licht am Rand des kurzen Strahls, den die Taschenlampe verströmen konnte. Ein Kojote. Er saß auf seinen Hinterläufen im Schnee, mit zur Seite gelegtem Kopf, die Ohren nach vorn gestreckt, und er starrte Trevor an. Das Fell am linken Ohr des Tieres war zerfetzt. War das der Kojote, der letzten Sommer im alten Flussbett gewesen war? Angelas Carlos? Würde ein Kojote, ein alter, gescheiter Kojote, einen ausgewachsenen Mann attackieren? Bjorne hatte ihm eine Geschichte über ein neugeborenes Kalb erzählt, das von einem ganzen Rudel dieser Tiere zerfleischt worden war; das Gesicht halb
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