Mehr als ein Sommer
seufzte. »Hol das Album, Axel. Zuerst zeige ich dir jetzt mal Carlos.« Helen blätterte ein paar Seiten um, bis sie die Fotos von Angela mit dem Kojotenwelpen fand. »Ein Wunder, dass er überlebt hat. Dieser Falke hatte ihn ziemlich übel zugerichtet. Eine ganze Woche hat sie jede Nacht bei ihm gewacht. Man könnte behaupten, dass sie mit ihm Erfolg hatte. Aber mit denen hier...« Sie öffnete das Album auf der Seite mit dem Bild, das den Cowboy zeigte, der sich förmlich um Angela herumgewickelt hatte. Sie konnte höchstens siebzehn gewesen sein.
»Blackie.« Helen zeigte mit dem Finger auf den Cowboy.
»Blackie?«
»So hieß er«, erklärte Helen. »Angie stöberte ihn beim Herbst-Rodeo in Brooks auf. Schrecklicher Säufer.«
Sie blätterte die Seite um. »Und dann kam der hier. Larry.« Larry trug das Haar lang, eine Lederweste und weite Hosen, die an den Knöcheln eng zusammenliefen. »Spielte in einer Band, die mal in Brooks gastiert hat.«
»Ich habe ihn an dem Tag hier weggejagt, an dem ich im hinteren Teil des Gartens die Marihuana-Pflanzen gefunden habe«, fugte Axel hinzu. »Der Spinner hat nicht mal versucht, die zu verstecken.«
Sechs weitere Männer folgten, und jeder von ihnen hatte seine Geschichte, eine schlimmer als die andere. »Die Knaben, nach denen sie sich verzehrte, waren beklagenswertere Kreaturen als die Tiere«, erklärte Helen. »Hatten alle Gesichter wie traurige Hunde sie haben, die man den Großteil ihres Lebens nur herumgeschubst hat. Sie dachte, sie könnte sie retten. Wie all ihre Tiere. Dabei ist sie allerdings so manches Mal gebissen worden.«
»Hal.« Helen tippte mit dem Finger auf das Foto eines Mannes auf einem Motorrad.
Axel nickte. »Wirkte am Anfang wie ein netter Junge. Kam von einer Farm oben im Norden in der Nähe von Westlock. Arbeitete an einer Tankstelle in Swede Lake.«
»Netter Junge? Pah! Ein elendes Stinktier«, schnaubte Helen. »Als Angie mit blauen Flecken nach Hause kam, wollte ich mit einem Gewehr auf ihn losgehen, aber sie verkündete, dass sie die Nase voll hätte von Männern. Er war der Letzte. Im darauffolgenden Jahr fing sie mit ihrem Jurastudium an.«
Helen seufzte und blätterte durch ein paar Seiten bis zum letzten Bild: Trevor, der mit schweißglänzendem Gesicht einen Heuballen auf einen Stapel auf der Ladefläche des Trucks hievte. Angela sah ihm vom Gabelstapler aus dabei zu.
Er wandte den Kopf und sah Helen an, dann Axel und dann wieder Helen. »War ich...«, stammelte er, »war ich einer ihrer Streuner?«
»Denk das nicht von dir«, sagte Axel.
»Beschönige hier nichts, Axel«, widersprach Helen ihm. Axel stieß einen grunzenden Laut aus, schlurfte zu seinem Stuhl hinüber und nahm sich die Zeitung.
»Wir waren besorgt, als du für die Heuernte rauskamst. Du musst zugeben, dass du ein bisschen aussiehst wie ein trauriges Hündchen. Verständlich. Angie hat uns von deiner Familie erzählt. Wir dachten, du seist wieder eines ihrer Projekte.«
»Und?«, fragte Trevor.
Axel hob die Zeitung höher, um sein Gesicht dahinter zu verstecken. »Wir kamen zu dem Schluss, dass du zu retten bist«, meinte Helen.
Der Wind fegte ins Ofenrohr, dass es schepperte. »Wir haben gehofft, es würde klappen«, fügte Axel im Schutz der Zeitung leise hinzu.
»Das habe ich auch gehofft«, jammerte Trevor. »Glaubt ihr, dass sie inzwischen einen anderen hat?«
»Nicht, dass ich wüsste«, gab Helen zur Antwort. »Sie ist nicht gerade der gesprächigste Mensch. Aber sie war seit der Beerdigung nur ein paarmal weg von der Farm, wegen ihrer Arbeit. Oder sie erzählt uns zumindest, dass es wegen der Arbeit ist.«
Trevor dachte über ihre Begegnung in .dem Farmhaus in Millarville nach und fröstelte, als er sich erinnerte, wie kalt es gewesen war — das Haus und ihre Schulter. »Was ist mit der Farm?«, fragte Trevor. »Verkauft ihr sie?«
»Das ist es, was Angie und Matt vorschwebt«, erwiderte Helen. »Matt vor allem, glaube ich. Angie liebt diese Farm. Ich kann oft nicht dahinterkommen, was in ihr vorgeht. Axel und ich gehen hier nicht weg.«
»Es sei denn, dieses große Tier kriegt seinen Willen«, warf Axel hinter seiner Zeitung ein.
»Großes Tier?«
»Dieser Typ von der Farmgesellschaft. Hat uns letzten Monat ein Angebot unterbreitet.«
»Das kann er sich du-weißt-schon-wohin stecken.« Helen kreuzte die Arme vor der Brust. »Angie findet, dass es eine gute Idee wäre. Dass wir uns in einem Seniorenheim in Calgary wohlfühlen würden.
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