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Mehr als fromme Wuensche

Mehr als fromme Wuensche

Titel: Mehr als fromme Wuensche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot Kaessmann
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verhaltensgestört. Ein Kind kann auch verhaltensauffällig werden, wenn es eine übel gelaunte, weil unzufriedene Mutter den ganzen Tag zu Hause hat. Ich finde wunderbar, wenn eine Frau sich entscheidet, ihre Kinder zuhause zu betreuen. Das sollte sie dann auch ohne schlechtes Gewissen tun können. Wichtig aber ist, dass es auch anders gehen kann, dass Mütter, die erwerbstätig sind, ihre Kinder gut betreut wissen. Wichtig sind Betreuungsangebote und familienfreundliche Arbeitsplätze, um eine Investition in Kinder. Und darum, dass Kinderhaben ein Glück bedeutet, dass es wunderbar ist, mit anderen zusammen zu leben. Eine Ursache für die niedrige Geburtenrate liegt darin, dass die meisten Menschen keine feste Bindung eingehen wollen; und mehr Männer als Frauen im Land planen ein Leben ohne Kinder. Meiner Meinung nach geht es um Gottvertrauen und Zukunftshoffnung, nicht um alte Klischees.
    Aber ach, wir sollten uns über Eva Hermann nicht aufregen. Vielleicht ist das Beste, das Buch schlicht zu ignorieren. Dann haben die so gewollt reißerischen Thesen nämlich ihr Ziel verfehlt. Ein Zurück zur „Versorgerehe“ der 50er Jahre gibt es ohnehin nicht, aus ökonomischen Gründen, weil Frauen gut ausgebildet sind und weil Männer sich längst verändert haben. Es hat sich etwas bewegt, und dahinter führt kein noch so medienwirksamer Weg zurück.

Heimat
    I m Sommer 2006 wurde die Ausstellung „Erzwungene Wege“ in Berlin gezeigt. Sie macht die Vertreibungen in Europa im 20. Jahrhundert von den Armeniern 1915 bis zum Kosovokonflikt deutlich. Und ja, es wird auch an die mehr als zwölf Millionen Vertriebenen aus Ostdeutschland erinnert, von denen sehr viele in Niedersachsen eine neue Heimat gefunden haben.
    Warum nur erregt das immer wieder so die Gemüter in Deutschland und auch in Polen? Liegt es allein daran, dass der Bund der Vertriebenen (BdV) hinter der Ausstellung steht? Ihm wird unterstellt, die Verbrechen des Nationalsozialismus und das Leid, das dieser über Europa brachte, mit dem Hinweis auf das Leiden der vertriebenen Deutschen relativieren zu wollen. Allerdings hat sich Erika Steinbach, die Präsidentin des BdV, ganz klar von solchen Interpretationen distanziert und erklärt, es gehe um den Geist der Versöhnung. Auch das geplante und umstrittene Zentrum gegen Vertreibungen wolle Vorurteile abbauen. Den Film „Die Flucht“ haben Millionen Fernsehzuschauer gesehen. Ich finde gut, wenn so die Möglichkeit eröffnet wird, über das Erlebte zu sprechen.
    Viele Vertriebene mussten lange schweigen über ihr Schicksal, niemand wollte genauer wissen, was sie erlitten haben. In den ersten Jahren ging es um Wiederaufbau, die Vertreibungen wurden als Strafe für den Nationalsozialismus gesehen. Wir sollten endlich diese Geschichten hören, denn Versöhnungist nur möglich, wenn Opfer auch sprechen dürfen. Es ist wichtig, zu erinnern, wie Polen, Russen und andere Opfer der Deutschen wurden. Und ebenso wichtig ist die Erinnerung an deutsche Opfer, die ihre Heimat verloren, auf der Flucht starben, vergewaltigt wurden. Es gibt dramatische Schicksale auf allen Seiten. Wenn wir uns gemeinsam erinnern, können wir auch gemeinsam Zukunft bauen in Europa. Wir können einer zerrissenen Welt zeigen, dass Versöhnung möglich ist.
    Meine Familie stammt aus Hinterpommern, auch sie wurde vertrieben. Ich bin froh, die vielen Geschichten zu kennen, sie sind Teil der Familienerinnerung. Niemand von uns käme auf die Idee, deshalb jetzt nach Polen ziehen zu wollen. Heimat ist da, wo wir heute leben. Und doch ist es gut, die eigenen Wurzeln zu kennen. Die Erzählungen haben mir klar gemacht: Wir müssen alles tun, um Krieg in Zukunft zu verhindern! Wenn die Ausstellung, die gezeigt wird, und auch ein Zentrum dieser Überzeugung dienen, kann doch niemand dagegen sein.
    Wir müssen diese Geschichten neu erzählen. „Erinnere dich!“, „Gedenke!“, das sind immer wieder Mahnungen der Bibel. Immer neu wird erzählt vom Auszug aus Ägypten, als Israel sich auf die Flucht begab, weg aus dem Land der Unterdrückung, hin ins Gelobte Land. Das sind Geschichten von Leid und Entbehrung, von Hunger und Verführbarkeit. Diese Geschichten haben die Jungen geprägt.
    Heute wissen wir, wie viele Traumata die Vertreibungen des 20. Jahrhunderts hinterlassen haben in ganz Europa, in Israel, aber auch in Afrika und Asien. Auch das deutsche Tätervolk war traumatisiert. Befreiung von den vergangenen Traumata gibt es aber nur, wenn die

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