Mehr als fromme Wuensche
wird das bei Frauen in Führungspositionen zuallererst sichtbar. Denn das umgekehrte Modell, sozusagenden Beruf „Kanzlergatte“, hat es wohl nie gegeben. Auch mein Mann kommt selten zu Empfängen oder dienstlichen öffentlichen Anlässen mit, höchstens, wenn es gut passt und ihn wirklich interessiert. Er nimmt ja auch nicht an den berühmten „Damenprogrammen“ teil. Bei den Ehemännern anderer Frauen in leitenden Positionen, die ich kenne, verhält es sich genauso. Das ist nur insofern neu und nun sichtbar, weil es bisher selten Frauen in solchen Positionen gab. Insofern kommt die Bundesrepublik vielleicht schlicht in der Normalität des 21. Jahrhunderts an.
Übrigens: Ich fand viel wichtiger, dass die Kanzlerin ihren Amtseid mit dem Zusatz „So wahr mir Gott helfe“ geleistet hat. Da weiß ich, vor wem sie sich verantwortet, wo sie Halt und Kraft findet. Das sagt mir jedenfalls mehr über Angela Merkel als die Antwort auf die Frage, wo ihr Mann war.
Über das Verhältnis von Mann und Frau in der Bibel wurde stets viel spekuliert. Wichtig war mir immer, dass es neben der Schöpfungsgeschichte mit der Rippe – die im Hebräischen eigentlich die Seite war – die Schöpfungsgeschichte gibt, in der es heißt: „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.“ (1. Mose 1,26) Gott schafft also beide gleichermaßen zum eigenen Bild, ohne Hierarchie, ohne Abstand zueinander. Das ist ein ganz anderer Ausgangspunkt als die Unterordnung, die allzu oft in der Kirchengeschichte aus der Schöpfung abgeleitet wurde. Auch die zweite Schöpfungsgeschichte, in der Eva aus der Rippe Adams geschaffen wird, macht sie ja nicht geringer als ihn, nein, er ist nicht vollständig, ist sie nicht da: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“ (1. Mose 2,18).
Abgeschoben
Z wei Wochen vorher waren sie noch bei mir, Marcel und Nelly. Zwei nette deutsche Jugendliche, zwölf und 16 Jahre alt, sechste beziehungsweise elfte Klasse Gymnasium. Alles prima. Am 29. November sind sie mit ihren Eltern ausgereist, Richtung Bulgarien. Sonst wären sie abgeschoben worden und hätten nie wieder nach Deutschland einreisen dürfen. Ihre ältere Schwester konnte bleiben, sie studiert an der Medizinischen Hochschule. Nun sitzen Nelly und Marcel mit ihren Eltern in Sofia in zwei Zimmern ohne Heizung. In einem Land, dessen Sprache sie nicht sprechen, dessen kyrillische Buchstaben sie nicht lesen können, und das bald darauf der Europäischen Union beigetreten ist.
Sicher, ich kenne die Gesetze. Viele der Abschiebungen sind notwendig. Und ich verstehe auch, dass Menschen, deren Verfahren sich jahrelang hinziehen, nicht dadurch Rechte erwerben sollen. Darüber wurde heftig diskutiert bei der Tagung der Innenminister, die auch in diesen Tagen stattgefunden hat. Ich frage mich aber, ob wir Kinder für die Schwächen unseres Rechtssystems, das Verfahren über 13, ja 15 Jahre hinzieht, oder auch für Fehler ihrer Eltern im Verfahren haftbar machen können.
Deutschland braucht doch dringend Nachwuchs! Marcel und Nelly sind eine Bereicherung für unser Land! Und was die finanziellen Leistungen des Staates betrifft: Eine Studie des Ifo-Institutes hat gerade festgestellt, dass gut ausgebildete jungeLeute erhebliche „positive fiskalische Effekte“ für unser Land erbringen. Das heißt auf gut deutsch, die Kinder zahlen mehrfach zurück, was in sie investiert wurde.
Ich verstehe nicht, warum Politikerinnen und Politiker keine Lösung für Kinder finden, die bei uns aufgewachsen, wirklich gut integriert, ja doch wahrhaftig Deutsche sind. Ich achte und schätze Recht und Gesetz in unserem Land – aber das verstehe ich nicht. Da verlieren wir Menschlichkeit. Das verstehen doch auch die Mitschülerinnen und Mitschüler nicht, sie weinen und verzweifeln an dieser Situation. Warum kann es denn keine kreativen Wege geben, auf denen Gnade Vorrang hat vor Recht?
Kurz vor Heilig Abend gibt der Mädchenchor in der Marktkirche in Hannover ein Weihnachtskonzert. Nelly hätte gerne mitgesungen. Viele werden sie vermissen, genauso wie Marcel. Beide kämen gerne nach Hause, nach Deutschland. Und ich meine, hier gibt es Platz für sie, ja, wir brauchen Menschen wie die beiden, wie die ganze Familie Jaber hier bei uns. Übrigens, Jesus war auch ein Flüchtlingskind. Seine Familie fand in Ägypten Zuflucht vor dem Kindermord. Gott sei Dank.
Weihnachten
„ V on drauß´, vom Walde, komm’ ich her, ich
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