Mehr als fromme Wuensche
der Tatsache, dass Hiob nicht gesündigt hat und sich von daher sein Unglück nicht erklären lässt. Hiob versucht, sich in Gott hineinzudenken, auch wenn es allen bisherigen Interpretationsversuchen widerspricht. Die Antwort Gottes an Hiob ist der Verweis auf die Schöpfermacht – ohne dass so das Leiden erklärt würde. Die Botschaft an Hiob ist, dass auch das Leiden in den Glauben an Gott hinein genommen wird.
Reformationstag
Z ur Freiheit hat uns Christus befreit! „Freiheit“ ist der Grundbegriff der Reformation. Luther hat eine ungeheure innere Freiheit erfahren, als ihm klar wurde, dass weder Papst noch Kaiser, weder Sünde noch Gesetze ihn von Gott trennen können. Gott ist schon da. Gottes Hand ist schon ausgestreckt. Von der Bibel her konnte er dieses Gottesverständnis für sich begreifen. Deshalb ist für Evangelische das „sola scriptura“ (die Schrift allein) von so zentraler Bedeutung. Wenn Papst Benedikt das in seiner Regensburger Vorlesung als falschen Weg der Enthellenisierung beschreibt, der letzten Endes eine Abwendung von der Vernunft bedeutet, wird das dem reformatorischen Anliegen nicht gerecht. Es geht Luther darum, nicht einen von der Kirche schon reflektierten, in Bahnen und Dogmen gelenkten Glauben zu übernehmen, sondern die Menschen mündig werden zu lassen. Selbst nachlesen dürfen sie, Schulen hat er gegründet, eine Bildungsbewegung ungeheuren Ausmaßes wurde in Gang gesetzt.
In seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ hat Martin Luther die Spannung, die im Freiheitsbegriff liegt, auf auch für heute anregende Weise ausgeführt – die Spannung der Freiheit des Gewissens als einer Freiheit, die sich im öffentlichen Leben verantwortet. In der Tat hat Luthers Freiheitsbegriff zu mancher Freiheit heute geführt. „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ als Schlagwort der französischen Revolution haben im Gedanken der Freiheit eines Christenmenschendurchaus Wurzeln. Selbst denken, selbst urteilen – das sind reformatorische Errungenschaften, die durch Missbrauch nicht falsch werden. Ich finde, es ist geradezu absurd, wenn das bekannte Bild des französischen Malers Eugène Delacroix, das die als Frau personifizierte Freiheit zeigt, die das Volk anführt, jetzt in der Türkei verboten wird, weil die Freiheit barbusig ist. Das Erziehungsministerium in Ankara hat soeben ein Schulbuch zensiert, das eine Reproduktion des Gemäldes enthält – und das im übrigen von jedem Menschen, der den Louvre in Paris besucht, angeschaut werden kann. Das hat ganz und gar nichts mit einer Freiheit zur Pornografie zu tun; es gibt keine Freiheit zur Missachtung der menschlichen Würde, wie sie in der Sexindustrie vielerorts praktiziert wird. Hier geht es vielmehr um die Freiheit der Kunst.
Wenn solche historischen Bilder verboten werden, wenn Karikatur nicht erlaubt ist und Opern aus lauter Angst abgesetzt werden, dann ist in der Tat Freiheit in Gefahr, politische Freiheit, Meinungs- und Pressefreiheit, aber auch religiöse Freiheit. Die Frage wird sein, ob Christinnen und Christen sich ihres Erbes bewusst genug sind, um energisch für die Freiheit einzutreten – für die eigene, aber vor allem auch für die Freiheit des Anderen und des Andersdenkenden. Es geht zuallererst um die Freiheit, die uns Christus schenkt. In der Konsequenz geht es immer auch um Freiheit des Gewissens, um Religionsfreiheit, um Meinungsfreiheit.
Martinstag
D er Martinstag am 11. November hat eine große Tradition: Zum einen wird an Martin von Tours gedacht, der als Soldat seinen Mantel mit einem Bettler teilte und so ein Vorbild wurde für das Miteinander von Reichen und Armen. Der 11. November war sein Todestag, an den viele Kirchengemeinden denken. In mancher evangelischen Gegend wird dieser Tag auch in Erinnerung an Martin Luther gefeiert, der am 10. November geboren und am 11. November getauft wurde. Beide Feste sind vor allem als Fest für Kinder ausgerichtet, die Brezeln oder Lutherbrötchen erhalten.
Diese Traditionen des Martinstages haben durchaus aktuelle Bedeutung. Das Teilen nach dem Vorbild Martin von Tours wird in einer Gesellschaft immer wichtiger, in der die einen im Überfluss leben, die anderen kaum über die Runden kommen. Jedes siebte Kind in Deutschland ist auf Sozialhilfe angewiesen – da wirken die grellbunten Reklamen bitter, die all das anpreisen, was sie sich nicht leisten können. In diesen Zeiten muss deutlich gesagt werden: Wir dürfen den Menschen nicht auf den
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