Mehr als fromme Wuensche
Der Bußtag erinnert die Kirche an diesen Dienst. Es entspricht Gottes Willen, wenn öffentlich benannt wird, wo wir in die Irre gehen. So wird das, was die Barmer Theologische Erklärung schon 1934 die Botschaft von der „frohen Befreiung aus den gottlosen Bindungen der Welt“ nannte, unerschrocken verkündet. Dabei darf die Kirche nie überheblich werden. Auch sie kann in die Irre gehen und hat es immer wieder getan.
Wenn ich über öffentliche Schuld nachdenke, bedrängt mich vor allem die Lage der Flüchtlinge in unserem Land. Das neue Zuwanderungsgesetz macht es immer schwerer, überhaupt Asyl zu erhalten. Und wenn wir die Dramen sehen, die sich vor Ferieninseln wie Teneriffa oder vor Lampedusa abspielen, bekommen wir eine Ahnung von dem Leidensdruck vieler Menschen. Sie haben Sehnsucht nach Frieden, Freiheit, Entwicklungsmöglichkeiten. Dass immer wieder Familien mit Kindern aus Deutschland abgeschoben werden, die seit vielen Jahren in unserem Land leben und gut integriert sind, das finde ich besonders bedrückend. Ich zweifle nicht an, dass das rechtens ist. Aber ich zweifle daran, dass es richtig ist. Wir brauchen Zuwanderung, dass wissen wir. Aber dann Menschen aufgrund der Rechtslage abzuschieben, deren Kinder hier zur Schule gehen, die sich als Deutsche verstehen, beste Zukunftschancen haben, ist für mich unverständlich, und ich halte es in vielen Fällen für unmenschlich.
„Gerechtigkeit erhöht ein Volk“ – dieser Vers aus dem Buch der Sprüche steht über dem Buß- und Bettag. Ich wünsche mir, dass diese biblische Weisheit eine Mahnung ist, genau hinzuschauen, wie wir mit Flüchtlingen und vor allem mit Familien, die seit vielen Jahren bei uns leben, umgehen.
Prekariat
A ls ich den Begriff „Prekariat“ in einem Vortrag zum ersten Mal gehört habe, dachte ich: Das ist eine Freudsche Fehlleistung, der Mann meint wahrscheinlich „Proletariat“. Aber nein, der Begriff ist ernst gemeint und scheint vielen irgendwie besser zu klingen als „Unterschicht“. Denn das ist ja ein Schimpfwort ...
Aber auch ein schönes Fremdwort macht die Lage von Menschen in prekärer Lebenssituation nicht besser. Es geht um diejenigen, die abgehängt sind im Land, ohne Perspektive. Die einen sagen, das seien Sozialschmarotzer, jeder im Land werde schließlich versorgt. Wer aber einmal eine Familie besucht hat, die nicht ein noch aus weiß, einen alten Mann, der keine Perspektive mehr hat, eine junge Frau, die nicht sieht, wie sie aus ihrer schwierigen Lage herauskommen soll, wird eine neue Liebe zu den Menschen entwickeln. Sie brauchen Beistand und Solidarität, damit sie ihren Platz finden in der Gesellschaft.
Es tut einem Land nicht gut, wenn die Schere zwischen Armen und Reichen immer weiter auseinander geht. Während die reichsten zehn Prozent der Haushalte bei uns fast 50 Prozent des gesamten Nettovermögens besitzen, sind die ärmsten zehn Prozent mit 0,6 Prozent des gesamten Nettovermögens verschuldet. Die Steuerbelastung auf Unternehmensgewinne hat von 35 Prozent 1960 auf 13 Prozent 2004 abgenommen, während der Steueranteil der Löhne im gleichen Zeitraumvon zwölf auf 31 Prozent gestiegen ist. Das zeigt, das es messbar ist, wie die Reichen reicher werden und die Armen ärmer.
Ein Zeichen von Armut ist immer auch um Beteiligung. Kann ich den Eintrittspreis für den Zoo, das Theater, das Schwimmbad aufbringen? Wie soll ich die Schulbücher bezahlen? Menschen in prekärer Einkommenssituation sind oft ausgeschlossen in unserer Gesellschaft, und notwendig ist hier also soziale Integration statt zunehmender Isolation.
Neben Beteiligung sieht unsere Kirche Bildung als Schlüssel zur Überwindung der Armut. Dass soziale Herkunft und Bildungsabschluss in Deutschland so eng verknüpft sind, ist für unser Land prekär. Von den Personen ohne Berufsabschluss sind allein in den neuen Bundesländern 51 Prozent arbeitslos, in den alten 21 Prozent. Bei Hoch- und Fachhochschulabsolventen liegt diese Quote bei sechs beziehungsweise bei dreieinhalb Prozent. Bildung ist eine entscheidende „Stellschraube“ zur Überwindung von Arbeitslosigkeit und Armut. „Es sei hier daran erinnert, dass im Neuwort “Prekariat“ nicht nur die „prekäre“ Lage steckt, sondern dahinter das lateinische „precor“, „dringlich flehen und bitten“, „to pray“.“ (Frank Crüsemann)
Fußball-WM der Behinderten
N och eine Fußball-WM gab es 2006 in Deutschland: die der Menschen mit Behinderung. Sechzehn
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