Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern
Mensch ein Krankenhaus aufsuchen kann und alle Obdach haben, zahle ich auch gern Steuern. Und ich bin dankbar, dass sich niemand, der reicher ist als andere, mit Stacheldrahtzaun, Kameras und Wächtern vor möglichen Überfällen abschotten muss. Manchmal fehlt in unserem Land eine unbefangene Freude an dieser Realität.
Wenn wir die Geschichte unseres Landes sehen, mahnt sie uns mit Blick auf aktuelle Missstände wie Kinder- und Altersarmut oder Asylsituation. Aber wir können auch stolz darauf sein, wie sich Demokratie und Miteinander entwickelt haben.
Und wir können dankbar sein, dass in Deutschland wieder Synagogengemeinden wachsen. Hier zeigt sich aber auch, dass Stolzsein keine starre Haltung ist: Wer stolz sein will, muss etwas dafür tun – etwa dann, wenn in Berlin ein Rabbiner auf offener Straße überfallen wird. Sonst wird der Stolz schnell wieder zur Scham …
Teil einer Gemeinschaft
Gegenüber all der Empörung darüber, was wir Deutschen alles zu leisten hätten gegenüber Griechenland oder Spanien, müsste sich eine Welle der Dankbarkeit erheben. Unser Land hat tiefe Schuld auf sich geladen. Es hat im letzten Jahrhundert Europa mit zwei entsetzlichen Kriegen überzogen, lag am Ende selbst buchstäblich in Trümmern und hat durch die Großzügigkeit und Weitsicht vor allem auch der US-Amerikaner eine gigantische Chance bekommen. Auch 1989 wurde unserem Land eine große Chance gegeben, zusammenzuwachsen, obwohl manche durchaus Befürchtungen vor einem „Großdeutschland“ hatten! Da müssten wir doch die Allerersten sein, die daraus gelernt haben und großzügig gegenüber denjenigen Ländern sein, die heute in Europa mit heftigen Problemen wie Verschuldung und hoher Jugendarbeitslosigkeit kämpfen. Eine andere Perspektive brauchen wir! Auch hier geht es doch um eine Gemeinschaft, in der mal die einen, mal die anderen jeweils Gebende und Nehmende sind!
Was für eine Arroganz auch, sich für fleißiger zu halten als andere. Ich schätze deutschen Fleiß und deutsche Disziplin, aber ich habe wahrhaftig Menschen in Indien und in Kenia erlebt, die mehr arbeiten – sieben Tage die Woche mit hoher Disziplin und geringstem Einkommen!
Manchmal habe ich den Eindruck, wir können uns einfach nicht darüber freuen, dass aus einer von Gewalt, Krieg und Vernichtung geprägten Geschichte eine gefestigte demokratische Gesellschaft gewachsen ist. Wenn das kein Grund zum Feiern ist! „Jeder Stoß ein Franzos“ wurde noch im Ersten Weltkrieg skandiert. Heute ist die Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich selbst durch unterschiedlichste Regierungskonstellationen nicht infrage gestellt. Das macht doch Hoffnung, wenn wir einen Blick auf viele Konfliktregionen der Welt werfen: Aus Konflikt kann Miteinander, ja, friedliche Koexistenz, sogar freundschaftliches Miteinander wachsen. Wir könnten uns daran freuen und dem Modellcharakter zuweisen! Dass die Europäische Union den Friedensnobelpreis 2012 erhalten hat, liegt auf genau dieser Linie. Sie ist ein erstaunliches Friedensprojekt, das Hoffnung macht für Regionen dieser Erde, die unter Krieg und Bürgerkrieg leiden.
Schutz und Asyl
Wenn wir nun als Christinnen und Christen in diesem Land leben, wenn wir hier Freiheit wertschätzen und Bildung für alle möglich ist, dann haben wir auch die Pflicht, uns für den Segenskreislauf der Barmherzigkeit, für Gerechtigkeit, Frieden, die Bewahrung der Schöpfung, für Kinder und Alte, für belastbare Beziehungen einzusetzen. Es geht um die Herausforderung, zunächst in unserem Land gerechte Bedingungen für möglichst alle zu schaffen, um von hier aus auch für andere einzutreten, Mut zu machen, dass ein Miteinander Verschiedener trotz aller Differenzen gelingen kann.
Eine Lebensgeschichte, die mich bis heute bedrückt, ist die von Gazale Salame und ihrer Familie. Sie lebte seit 17 Jahren in Deutschland, ihr Mann, Ahmed Siala, ein Flüchtling aus dem Libanon, seit 26 Jahren. Ihre Familien waren Mitte der Achtzigerjahre der „Hölle von Beirut“ entkommen, Familie Siala direkt von Beirut nach Berlin, Familie Salame über die Türkei. Als „staatenlose Kurden“ erhielten sie Aufenthaltsrecht. Die Kinder Gazale und Ahmed gingen zur Schule, gründeten eine Familie. Doch dann schlug die Ausländerbehörde zu: Die Väter beziehungsweise Großväter besäßen ein türkisches Aufenthaltsrecht, deshalb sei Bleiben nicht möglich. Am 10. Februar 2005 überraschte die Ausländerbehörde die schwangere 24-jährige
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