Mehr als nur ein halbes Leben
anzubieten, und den ganzen verworrenen, chaotischen, immer größer werdenden Haufen irgendwo genau hinter meinen Augen auf dem Boden liegen lässt, sodass ich Kopfschmerzen davon bekomme. Zum ersten Mal, seit ich mit dem Snowboardfahren angefangen habe, bin ich froh, für heute damit fertig zu sein. Mike und ich machen uns auf den Weg zurück zum NEHSA-Gebäude, wo ich meine Ausrüstung zurückgeben und meinen Gehstock abholen kann.
Dort setze ich mich auf die Holzbank und nehme meinen Helm ab. Ich finde meine Stiefel und meinen Stock.
»Heute waren Sie aber ein bisschen vorsichtig«, stellt Mike fest.
»Ja.«
»Das ist schon okay so. An manchen Tagen werden Sie sich mutiger fühlen als an anderen. Aber so geht es allen anderen auch, okay?«
»Okay.«
»Und an manchen Tagen werden Sie große Fortschritte erleben und an anderen nicht.«
Ich nicke.
»Aber lassen Sie sich nicht entmutigen, okay? Kommen Sie morgen wieder?«
»Gleich morgen früh.«
»Gut so! Oh, ich habe da noch diese Informationsbroschüren für Ihre Freundin. Sie liegen auf meinem Schreibtisch. Können Sie kurz hier warten?«, fragt Mike.
»Na klar.«
Ich habe Heidi angeboten, ihr ein paar Informationen über den NEHSA mitzubringen, damit sie ihren Patienten davon erzählen kann. Ich habe keine wissenschaftlichen oder klinischen Daten, um diese These zu stützen, aber ich glaube, Snowboardfahren ist die effektivste Rehamethode, die ich kennengelernt habe. Es zwingt mich, mich auf meine Fähigkeiten – und nicht auf meine Behinderung – zu konzentrieren und gewaltige Hindernisse, physische und psychische, zu überwinden, um auf diesem Brett stehen zu bleiben und heil den Berg hinunterzukommen. Und jedes Mal, wenn ich heil den Berg hinunterkomme, gewinne ich echtes Selbstvertrauen und bekomme ein Gefühl von Unabhängigkeit, wie ich es seit dem Unfall nicht mehr erlebt habe, ein Gefühl echten Wohlbefindens, das mir noch lange über das Wochenende hinaus erhalten bleibt. Und egal, ob das Snowboardfahren mit dem NEHSA einen messbaren und anhaltenden therapeutischen Erfolg bei Leuten wie mir zeigt oder nicht, es macht auf jeden Fall viel mehr Spaß, als Katzen abzumalen und rote Bälle von einem Tablett hochzuheben.
Mike kommt mit einem Stapel Unterlagen in der Hand wieder.
»Entschuldigung, dass es so lange gedauert hat. Ich musste eben einen Anruf entgegennehmen. Unser Entwicklungsleiter geht nach Colorado, und es ist fast unmöglich für uns, jemanden zu finden, der seine Position ausfüllen kann. Zu schade, dass Sie nicht das ganze Jahr hier leben. Sie wären ideal dafür.«
Ich habe mir mein Leben lang bei Sternschnuppen etwas gewünscht, auf Holz geklopft, Pennys aufgehoben und um das eine oder andere zu Gott gebetet, aber noch nie habe ich eine so offensichtliche, unmittelbare und aufregende Antwort bekommen wie jetzt. Vielleicht ist es einfach nur ein glücklicher Zufall. Vielleicht ist Mike Green ein Engel auf Erden. Vielleicht wirft Gott dem armen Goofy einen Knochen hin. Aber das ist es. Das ist das Zeichen.
»Mike, ausgerechnet Sie sollten es wissen«, sage ich. »Nichts ist unmöglich.«
FÜNFUNDDREISSIGSTES KAPITEL
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»In Vermont gibt es kein Mangia«, meint Bob.
Ich erwidere nichts. Wir sitzen alle zusammengezwängt in Bobs Wagen auf dem Weg zum Abendessen im Mangia, meinem Lieblingsfamilienrestaurant in Welmont. Aber mit dem Mangia wird Welmont nicht bei mir punkten können. Es gibt jede Menge anständige Restaurants in Vermont. Normalerweise kann ich Bob nicht sehen, wenn er fährt, aber aus irgendeinem Grund ist mein Gesichtsfeld jetzt so erweitert, dass ich einen Teil seines Profils wahrnehmen kann – genug, um zu erkennen, dass sein rechter Daumen auf dem Display seines Handys herumhackt.
»Stopp!«, brülle ich.
Er tritt die Bremsen durch. Mein Gurt rastet ein und schneidet in meine Brust, als ich nach vorn geschleudert werde. Eingepfercht in einer langen Autoschlange und bei fünfunddreißig Meilen in der Stunde können wir von Glück reden, dass uns niemand draufgefahren ist.
»Nein, nicht den Wagen. Leg das Handy weg«, fordere ich.
»Gott, Sarah, du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt. Ich dachte, da ist irgendetwas. Ich muss nur kurz telefonieren.«
»Hast du denn nichts aus dem gelernt, was mir passiert ist?«
»Sarah«, sagt er in seinem Singsang, der ausdrücken soll: Lass doch bitte dieses lächerliche, theatralische Getue.
»Willst du so enden wie ich?«
»Diese Frage kann ich
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