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Mehr als nur Traeume

Titel: Mehr als nur Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jude Deveraux
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hatte Lady Hallet jedem den Zutritt zu dem Kind verweigert, das von der Reise über den Kanal und der beschwerlichen Fahrt über schlechte Landstraßen sehr krank geworden war. Als Lucy wieder gesund wurde, schien sich keiner mehr daran zu erinnern, daß sie in diesem Haus wohnte.
    Dougless war bereits am ersten Tag aufgefallen, daß die Erwachsenen im sechzehnten Jahrhundert ihre Kinder keineswegs vergötterten, wie das die Amerikaner im zwanzigsten Jahrhundert zu tun pflegten. Sie hörte voller Erstaunen, daß die meisten von Lady Margarets Kammerfrauen verheiratet waren und zwei von ihnen sogar kleine Kinder hatten, die hundert Meilen vom Haus der Staffords entfernt wohnten. Die Frauen schienen keineswegs unter Gewissensbissen zu leiden, daß sie ihre Kinder nicht sahen und diese nicht die nötige elterliche Zuwendung bekamen. Dougless hatte einmal beim Sticken — eine Fertigkeit, die diese Damen meisterhaft beherrschten, während Dougless sich sehr ungeschickt anstellte - bemerkt, daß in ihrem Land die Frauen den ganzen Tag mit ihren Kindern verbrachten, sie unterhielten, sie unterrichteten und sich bemühten, immer auf ihre Wünsche einzugehen. Die Frauen waren entsetzt gewesen, als sie das hörten. Sie meinten, daß Kinder keine Beachtung verdienten, solange sie nicht im heiratsfähigen Alter waren. Schließlich war die Sterblichkeitsrate unter Kindern groß, und ihre Seelen wurden erst mit der körperlichen Reife geformt.
    Dougless hatte sich wieder stumm über ihren Stickrahmen gebeugt. Bisher hatte sie geglaubt, daß Eltern schon seit jeher ihre Kinder vergöttert hätten. Und daß eine Mutter in der Steinzeit sich genauso Sorgen gemacht hatte, ob sie ihr Kind nicht in irgendeiner Beziehung vernachlässigte, wie das eine Mutter im zwanzigsten Jahrhundert tat. Nun mußte sie erfahren, daß die Unterschiede zwischen dem sechzehnten und dem zwanzigsten Jahrhundert sich nicht nur auf Kleider und Politik zu beschränken schienen.
    Und als sie jetzt Lucy neben dem Brunnen stehen sah, konnte sie die Einsamkeit des Mädchens förmlich spüren.
    Lucy war eine Fremde in dem Haus, in dem sie seit ihrem dritten Lebensjahr wohnte.
    »Hallo«, sagte Dougless.
    Lucy lächelte breit und wurde dann sofort wieder steif. »Guten Morgen«, sagte sie förmlich. »Habt Ihr vor, das gleiche wie gestern zu tun?« fragte sie dann, als Dougless ihre Robe ablegte.
    »Ich werde es jeden Tag tun.« Dougless stieg in das Brunnenbecken und gab mit einem Pfiff dem Jungen das Signal, das Wasser aufzudrehen. Sie erschauerte, als das eiskalte Wasser ihr über den Körper lief; aber sie nahm diese Widrigkeit gern in Kauf für einen sauberen Körper.
    Lucy drehte Dougless den Rücken zu, solange diese sich im Becken badete und die Haare wusch. Aber sie ging nicht fort, und das war für Dougless ein Zeichen, daß Lucy etwas von ihr wollte. Vielleicht wollte sie nur eine Freundin haben.
    Nachdem Dougless sich abgetrocknet und ihre Robe angezogen hatte, wandte sie sich an Lucy: »Wir werden heute morgen Charaden spielen. Vielleicht willst du daran teilnehmen?«
    »Wird Lord Christopher ebenfalls dasein?« fragte Lucy rasch.
    »Ah«, erwiderte Dougless, die diese Frage sehr aufschlußreich fand. »Ich glaube nicht.«
    Lucy ließ sich auf eine Bank sinken wie ein Strandball, aus dem man die Luft entweichen läßt. »Nein, ich werde nicht kommen.«
    Dougless rieb sich die Haare mit einem Tuch trocken und blickte Lucy nachdenklich an. Wie konnte ein pummeliges, nicht besonders hübsches pubertäres Mädchen die Aufmerksamkeit eines so prächtigen Mannsbildes wie Kit erregen?
    »Er redet nur von Euch«, sagte Lucy mürrisch.
    Dougless setzte sich neben sie auf die Bank. »Kit redete von mir ? Wann siehst du ihn denn?«
    »Er besucht mich fast jeden Tag.«
    Das traute sie Kit zu, dachte Dougless bei sich. Er schien ein außerordentlich rücksichtsvoller und gutmütiger Charakter zu sein. »Kit redet von mir, aber worüber redest du mit Kit?«
    Lucy knetete unsicher die Hände im Schoß. »Ich sage gar nichts.«
    »Nichts? Du sagst kein Wort zu ihm? Er kommt dich jeden Tag besuchen, und du sitzt da wie ein Stück Holz?«
    »Lady Hallet meint, es wäre unziemlich, wenn ich . ..«
    »Lady Hallet! Dieser Drachen meint so etwas? Die Frau ist so häßlich, daß ein Spiegel schon zerbricht, wenn er ihren Hinterkopf sieht.«
    Lucy kicherte. »Ein Habicht ist mal zu ihr geflogen statt zu seinem Falkner. Ich glaube, er hat sie mit seinem Weibchen

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