Mehr als nur Traeume
aufgeschlitzt.«
Sie benützte ihre rechte Hand dazu, ihren linken Unterarm zu reiben. Doch der Schmerz wollte nicht nachlassen. »Ich spüre den Schnitt«, flüsterte sie, um nicht laut zu wimmern. Die Frauen blickten sie jetzt mit seltsamen Augen an, als wäre sie nicht ganz bei Trost.
Plötzlich konnte Dougless Nicholas’ Stimme in ihrem Kopf hören. Sie lagen zusammen im Bett, und sie hatte die Narbe an seinem linken Arm mit dem Finger berührt - die Narben der Schwertwunde, die er an dem Tag empfing, als Kit ertrank.
Dougless war sofort wieder auf den Beinen. »Wo üben sich die Männer im Schwertkampf?« fragte sie schrill. Und dabei betete sie zu Gott, daß sie nicht zu spät kommen möge.
Die anderen Frauen waren nun überzeugt, daß Dougless den Verstand verloren haben müsse, aber Honoria gab ihr Auskunft. Nichts, was Dougless tat, überraschte sie mehr.
»Sie üben hinter dem Haus. Man muß durch den Irrgarten zum Nordosttor gehen, um dorthin zu gelangen.«
Dougless nickte, hob ihre Röcke an und eilte aus dem Zimmer. Sie dankte Gott für den Reifrock, der die Überröcke von ihren Beinen weghielt. In der Halle lief sie in einen Mann hinein, der zu Boden stürzte. Sie sprang einfach über ihn hinweg. In der Küche wollte eine Frau etwas vom obersten Regalbrett holen. Dougless duckte sich und lief unter ihren Armen hindurch. Eine Wagenladung voll Fässer hatte sich gelöst, und Dougless hüpfte über fünf tollende Fässer hinweg wie eine seltsam bekleidete olympische Hürdenläuferin. Sie rannte vor dem Irrgarten an Lady Margaret vorbei, ohne ein Wort zu ihr zu sagen. Als das Tor an der hinteren Mauer des Irrgartens klemmte, hob sie das Bein und trat einfach die Tür ein.
Als sie das Tor passiert hatte, rannte sie so schnell, wie ihre Beine sie tragen wollten, weiter.
Nicholas, dessen linker Arm in ein blutdurchtränktesTuch eingewickelt war, saß auf einem Pferd und blickte auf sie hinunter.
»Kit!« schrie Dougless, immer noch laufend. »Wir müssen Kit retten!«
Dougless sagte nichts mehr, weil sie im gleichen Moment ein Ritter mit beiden Armen auffing und auf ein Pferd hob. Gott sei Dank - es trug einen Männersattel. Sie fuhr mit den Füßen in die Steigbügel, packte die Zügel und blickte Nicholas an.
»Wir reiten!« brüllte er nur und gab seinem Pferd die Sporen.
Der Wind stach ihr in die Augen, und ihr linker Arm schmerzte immer noch; aber sie mußte sich darauf konzentrieren, Nicholas nicht aus den Augen zu verlieren. Ihnen folgten drei Ritter, die sich und ihre Pferde anstrengen mußten, damit sie von den beiden nicht abgehängt wurden.
Sie galoppierten über gepflügte Felder, durch Gärten voller Kohlköpfe, über schmutzige, kahle Hinterhöfe, und zum erstenmal verschwendete Dougless keinen Gedanken an die Gleichheit der Menschen, als ihr Pferd erntereife Feld- und Gartenfrüchte zertrampelte und einmal sogar eine ganze Hütte niederriß. Sie sprengten in einen Wald hinein, wo die Äste ihr ins Gesicht schlugen. Dougless beugte sich tief über den Hals ihres Pferdes und ließ das Tier laufen, so schnell es konnte. Nicholas verließ den Pfad und ritt quer durch das Unterholz. Der Waldboden war frei von Reisig und abgebrochenen Zweigen, weil das alles als Feuerholz gebraucht wurde. So behinderte nichts ihren Weg außer den Ästen, die tief über ihren Köpfen hingen.
Sie dachte nicht einen Moment daran, Nicholas zu fragen, woher er wußte, wo er Kit finden würde. Sie war sich sicher, daß er den Ort genau kannte - so genau, wie er vorhin gewußt hatte, daß sie zu ihm kommen würde, als er sich den Arm verletzte.
Sie brachen aus dem Wald heraus und gelangten auf eine Lichtung, auf der sich ein klarer, von einer Quelle gespeister kleiner See ausbreitete. Nicholas war schon aus dem Sattel, ehe sein Pferd zum Stehen kam, und Dougless folgte seinem Beispiel und zerriß sich den Rock, als dieser am Sattel hängenblieb.
Sie rannte zum See, und ihr wollte das Herz stillstehen, als sie dort Kit mit dem Gesicht nach unten im Wasser treiben sah. Drei Männer zogen nun seinen nackten, regungslosen Körper aus dem See. Sein langes dunkles Haar hing ihm über das Gesicht. Sein Hals war schlaff, und sein Kopf pendelte hin und her.
Nicholas stand da und starrte seinen Bruder an. »Nein«, sagte er dann. »NEIN!«
Dougless schob sich an Nicholas vorbei und rannte zu den Männern, die Kit zwischen sich trugen. »Legt ihn hierher. Auf den Bauch«, befahl sie.
Kits Männer zögerten .. .
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