Mehr als nur Traeume
sagte er noch einmal.
»Ich bin mit meiner Abrechnung noch nicht fertig.«
»Du willst noch arbeiten?« erwiderte Kit im neckenden Ton. »Übrigens fiel mir auf, daß du dich ganz ungewöhnlich keusch verhältst, seit Lady Dougless in unser Haus kam.«
»Sie ist keine ...« - »Lady«, hatte Nicholas sagen wollen, als ihn wieder eine Vision von Dougless überwältigte, wie ihr das lange Haar weich und locker über die Schultern rollte.
Kit lachte. »So steht es also mit dir, wie?« Er nickte und blinzelte seinem Bruder zu. »Ich kann dich verstehen. Die Frau ist schön. Willst du sie nach deiner Heirat zu deiner Mätresse machen?«
»Nein!« antwortete Nicholas im energischen Ton. »Sie bedeutet mir nichts. Nimm du sie dir. Ich möchte sie nie mehr sehen. Ich wünschte, sie wäre niemals in mein Leben getreten.«
Kit sah ihn mitleidig an. »Dich hat es aber schlimm erwischt«, meinte er grinsend. »Wie ein Blitz aus heiterem Himmel, wie?«
Nicholas schoß aus seinem Stuhl, um auf seinen Bruder loszugehen und ihm dieses spöttische Grinsen aus dem Gesicht zu wischen. Aber Kit wich ihm lachend aus, lief aus dem Zimmer und warf die Tür hinter sich zu.
Nicholas starrte die Tür an, ging dann an seinen Arbeitstisch zurück und versuchte sich auf seine Zahlenkolonnen zu konzentrieren. Aber er hatte ständig das Bild dieser rothaarigen Frau vor Augen. Sie lachte jetzt, schien sich über das, was sie tat, zu amüsieren. Er wußte genau, daß er es sofort merken würde, wenn sie unglücklich war.
Er stand wieder vom Tisch auf und trat ans Fenster. Er öffnete es und blickte in den Garten hinaus. Unwillkürlich trat wieder ein Bild vor sein inneres Auge - ein anderer Garten, Nacht, strömender Regen, und plötzlich der Ruf dieser Frau, der zu ihm drang. Er sah Lichter, seltsame blau-rote Lichter auf langen Stangen. Und er sah sich selbst im Regen, glattrasiert und in eigenartigen Kleidern.
Nicholas prallte vom Fenster zurück und warf es zu. Er rieb sich die Augen, um sich von diesen Visionen zu befreien. Er durfte nicht dem Zauber dieser Frau erliegen. Sie sollte keine Macht über seinen Geist gewinnen.
Er verließ sein Büro und ging in sein Schlafgemach, goß sich einen großen Becher spanischen Weißwein ein und leerte ihn auf einen Zug. Er goß einen zweiten und dritten Becher hinterher, bis er die Wärme des Weins in seinen Adern spürte. Er würde ihr Bild im Wein ertränken. Er würde so lange trinken, bis er sie nicht mehr hören, sehen oder riechen konnte.
Bis er sie vergessen konnte.
Eine Weile lang tat der Wein die gewünschte Wirkung, und die Bilder in seinem Kopf verblaßten. Zufrieden streckte er sich auf seinem Bett aus und war in der nächsten Sekunde schon eingeschlafen.
Doch nun suchte ihn ihr Bild im Traum heim.
»Du mußt mir sagen, ob Kit dir bereits das Geheimfach gezeigt hat«, hörte er die Stimme dieser Frau. »Sage mir, ob du dich in den Arm geschnitten hast.« - »Kit ist tot, und du hast Schuld daran.« - »Und wenn du dich täuschst?« Die Stimme der Frau wurde schriller. »Wenn du dich in mir täuschst und Kit stirbt, nur weil du nicht auf mich hören willst?«
Nicholas erwachte schweißgebadet und lag den Rest der Nacht mit offenen Augen da, weil er Angst hatte zu träumen, wenn er wieder einschlief. Etwas mußte gegen diese Frau unternommen werden, wenn sie ihn nicht einmal ruhig schlafen ließ. Etwas mußte geschehen.
16
Um vier Uhr morgens schlich sich Dougless wieder aus dem Haus, um im Springbrunnen zu duschen. Gestern hatten sich ein paar Frauen über den Seifenschaum im Brunnenbecken gewundert, und Lady Margaret hatte Dougless verständnisinnig angesehen. Dougless war rot geworden und hatte zur Seite geblickt. Offenbar geschah nichts im Haus Stafford, worüber Lady Margaret nicht Bescheid wußte.
Nun mußte Dougless lächeln, als sie an diese Szene zurückdachte. Wenn es Lady Margaret nicht recht gewesen wäre, daß sie sich im Brunnen wusch, hätte sie ihr das zweifellos gesagt.
Obwohl es noch sehr dunkel war, konnte Dougless doch Lucy beim Brunnen warten sehen. Armes, einsames Kind, dachte sie bei sich. Sie hatte inzwischen von Lucy erfahren, daß das Kind bereits im Alter von drei Jahren mit Ihrer Gouvernante in das Haus der Staffords gebracht worden war. Man glaubte, sie würde Kit eine bessere Frau sein, wenn sie in der Familie ihres zukünftigen Mannes aufwuchs und die englische Lebensart annahm.
Doch von dem Augenblick an, als sie in dieses Haus gekommen war,
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