Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit
mal«, sagte meine Mutter.
Mein Vater war nun komplett verwirrt, doch sein Mund war so voll mit Pfirsich, dass er sich gar nicht verständlich hätte ausdrücken können. Ich glaube, er fragte, warum ich nicht einfach nach oben zur Toilette ging wie ein normaler Mensch. Unter den Umständen eine berechtigte Frage.
»Manchmal haben wir es sehr eilig«, fuhr meine Mutter fort, aber eine Spur unsicher. »Deshalb bewahre ich immer ein Glas unter dem Spülbecken auf – ein bestimmtes Glas.«
Ich allerdings kam schon mit weiteren Gläsern im Arm vom Kühlschrank zurück – so vielen, wie ich tragen konnte. »Die hier habe ich ganz bestimmt auch alle mal benutzt«, verkündete ich.
»Das kann nicht sein«, sagte meine Mutter, doch am Ende des Satzes hing ein Fragezeichen. Dann fügte sie, ein wenig selbstzerstörerisch vielleicht, hinzu: »Aber auch egal, ich spüle alle Gläser sowieso immer aus, bevor ich sie noch einmal benutze.«
Mein Vater erhob sich, ging in die Küche, bückte sich über den Mülleimer und ließ die Pfirsichhälfte mit ungefähr einem halben Liter Glibber hineinfallen. »Vielleicht ist ein Pieselglas doch keine so gute Einrichtung«, meinte er.
Damit war es also aus mit dem Pieselglas, obwohl noch etwas Gutes dabei herauskam, wie oft bei solchen Sachen. Meine Mutter brauchte nämlich von da an nur zu erwähnen, sie habe etwas Leckeres in einem Glas im Kühlschrank, da verspürte mein Vater schon das dringende Bedürfnis, mit uns zu Bishop’s zu gehen, einer Cafeteria in der Stadtmitte, und etwas Schöneres hätte gar nicht passieren können, denn Bishop’s war das feinste Restaurant, das es je gegeben hat.
Alles daran war himmlisch – das Essen, die dezente Einrichtung, die mütterlichen Kellnerinnen in ihren grauen Uniformen, die einem das Tablett zum Tisch trugen und freudig eine neue Gabel holten, wenn einem der Anblick derjenigen, die dabeilag, nicht gefiel. Jeder Tisch hatte eine kleine Lampe, die man anknipsen konnte, wenn man etwas brauchte; man musste sich also nie den Hals verrenken und vorbeigehende Kellnerinnen anhalten. Man entzündete einfach nur sein privates kleines Fanal, und einen Moment später kam eine Kellnerin und fragte, womit sie einem dienen könne. Ist das nicht wundervoll?
In den stillen Örtchen bei Bishop’s gab es die einzigen atombetriebenen Toiletten der Welt – jedenfalls die einzigen, die ich je gesehen habe. Wenn man die Spülung betätigte, hob sich der Sitz automatisch, schob sich in eine wie ein Sitz geformte Höhlung in der Wand und wurde dort in violettes Licht getaucht, das auf eine warme, hygienische, wissenschaftlich fortgeschrittene Art brummte. Tadellos keimfrei gemacht, hübsch angewärmt und vor atomarer Thermoluminiszenz geradezu pulsierend, kam der Sitz wieder herunter. Weiß der Himmel, wie viele Menschen in Iowa während der fünfziger und sechziger Jahre an unerklärlichem Gesäßkrebs starben, doch es war jede verschmurgelte Pobacke wert. Wir führten Besucher von außerhalb der Stadt in die Toilettenräume bei Bishop’s, um ihnen die atombetriebenen Klos zu zeigen, und alle waren der Meinung, bessere hätten sie nie gesehen.
Doch damals waren die meisten Dinge in Des Moines einfach unschlagbar. Im Toddle House hatten wir die zartesten, wohlmundendsten Banana Cream Pies und das Gleiche, habe ich gehört, konnte man auch von dem Käsekuchen bei Johnny and Kay’s sagen. Aber meinem Vater war viel zu wenig an Qualität gelegen, und er war viel zu vorsichtig mit seinem Geld, als dass er je mit uns in diese Hochburg gepflegten Speisens auf dem Fleur Drive gefahren wäre. Wir hatten die köstlichsten, leuchtend neonfarbenen Eiskrems bei Reed’s, einer Eisdiele von kühler Opulenz in der Nähe des Ashworth Swimming Pools (auch der das schönste, eleganteste öffentliche Schwimmbad der Welt, mit den schlanksten, braungebranntesten Bademeisterinnen) im Greenwood Park (mit den besten Tennisplätzen, dem schmucksten See und den gepflegtesten Fahrwegen). Vom Ashworth Swimming Pool, hübsch nach Chlor duftend, unter einem lebendigen grünen Blätterdach durch den Greenwood Park zu fahren und zu wissen, dass man sich gleich bei Reed’s drei schlürfige Eiskugeln auf der Zunge zergehen lassen würde, ist der Gipfel menschlichen Wohlbehagens.
Wir hatten die leckersten Backwaren in Barbara’s Bake Shoppe, die fleischigsten Rippchen, mit denen man sich am besten das Gesicht beschmieren konnte, und die knusprigsten Brathähnchen in einem
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