Mein argentinischer Maerchenprinz
betrachtete sie die untergehende Sonne, deren roter Schimmer auf der Wasseroberfläche reflektiert wurde. Schließlich fragte sie: „Was ist mit dir? Keine Frau? Keine Kinder?“
Etwas flackerte in seinen dunklen Augen. „Auf keinen Fall.“
„Du meinst, jetzt noch nicht.“
Fest umschlossen seine langen, kräftigen Finger das Weinglas. „Nein, überhaupt nicht, niemals. Denk immer daran, Faith.“ Es lag eine Härte in seinen Worten, die sie dazu brachte, ihn genauer zu mustern, doch sein schönes Gesicht gab nichts preis.
Sie glaubte in seinen Worten eine unterschwellige Botschaft zu spüren und runzelte verwundert die Stirn. „Und warum?“
„Weil ich es gern klarstelle …“, sagte er sanft, „… gleich am Anfang einer Beziehung.“
„Wir haben eine Beziehung?“
„Ich weiß nicht.“ Er schaute ihr tief in die Augen. „Haben wir eine?“
3. KAPITEL
Zehn Monate später
„Sie ist einfach vor das Taxi gelaufen. Wenn man dem Zeugen glauben darf, hatte sie riesiges Glück, dass sie überlebt hat.“
Glück?
Als Faith die Worte des Arztes hörte, entschied sie, mit geschlossenen Augen in ihrem Krankenhausbett liegen zu bleiben. Ich bin überhaupt nicht glücklich.
„Haben Sie inzwischen Angehörige ausfindig gemacht?“ Wieder hörte sie den Arzt sprechen, und der dumpfe Schmerz in ihrem Innersten artete allmählich in Höllenqualen aus.
Es gab keine Angehörigen. Sie hatte alles verloren, und sie wusste nicht, welche Wunden schlimmer waren, ihre äußeren oder ihre inneren.
„Nein, sie hatte keinerlei Papiere bei sich, als sie eingeliefert wurde – vermutlich hat jemand ihre Tasche gestohlen. Aber sie trug ein ziemlich teures Designerkleid“, bemerkte die Krankenschwester neidisch. „So eins könnte ich mir nie im Leben leisten. Entweder hat sie einen guten Job oder einen sehr reichen, großzügigen Freund.“
„Jedenfalls können wir sie nicht entlassen, solange wir nicht wissen, wo sie unterkommen kann. Das ist ziemlich lästig, eigentlich brauchen wir das Bett“, sagte der Arzt ungeduldig. „Es müsste sie doch längst jemand vermisst haben.“
Nur, wenn irgendwer sich für mich interessierte, dachte Faith düster. In ihrem Fall tat das niemand.
„Faith? Sind Sie wach?“
Vermutlich würde man sie ohnehin nicht in Ruhe lassen, bis sie etwas gesagt hatte, also öffnete sie widerwillig die Augen. Kühl lächelte der Arzt sie an.
„Wie geht’s uns denn heute?“, fragte er in dem leicht herablassenden Ton, den er offensichtlich für seine Patienten reserviert hatte.
„Gut.“ Dem werde ich bestimmt nicht die Wahrheit sa gen. „Schon viel besser.“ „Dann möchten Sie sicher so bald wie möglich nach Hause.“ Nach Hause? Wo war das? Während des letzten Jahres war es Argentinien gewesen, und sie hatte geglaubt …
Tränen stiegen ihr in die Augen, und schnell wandte sie den Kopf zur Seite. Das ganze Elend, das sich seit Tagen in ihr angestaut hatte, schien mit einem Mal aus ihr herauszubrechen, und sie musste ihre ganze Willenskraft aufwenden, um nicht an Argentinien zu denken, nicht an die Tatsache, dass sie keinen Job und kein Zuhause mehr hatte. Woran sie aber vor allem nicht denken wollte, war …
Mit einem gequälten Stöhnen rollte sie sich zusammen und wünschte, sie könnte diese schrecklichen Gedanken einfach aus ihrem Kopf verscheuchen.
„Haben Sie Schmerzen?“ Stirnrunzelnd beugte der Arzt sich zu ihr. „Soll ich Ihnen etwas dagegen geben?“ Gegen meine Schmerzen gibt es kein Mittel . Fest schloss Faith die Augen. „Das ist alles so grässlich.“ „Was, Ihr Kopf? Das wird mit der Zeit heilen, und Ihre Haare werden die Narbe gut verdecken.“
„Nicht mein Kopf“, murmelte Faith. „Mein Leben.“
„Sie macht sich offenbar Sorgen wegen ihres Kopfes – wie sieht die Wunde aus, Schwester? Verheilt sie gut?“
Faith hielt die Augen geschlossen und wünschte sich, man würde sie endlich allein lassen.
„Sie heilt sehr schön“, antwortete die Krankenschwester munter. „Es wird keine hässliche Narbe bleiben.“
Äußerlich vielleicht nicht, dachte Faith bei sich. Aber in ihrem Innern war ein hässlicher, tiefer Riss, der niemals heilen würden.
Der Arzt nickte. „Wenn man den Zustand bedenkt, in dem Sie vor zwei Wochen eingeliefert wurden, haben Sie sich erstaunlich gut erholt. Wir müssen allmählich über Ihre Entlassung sprechen.“ Er räusperte sich und warf einen Blick auf die Krankenakte. „Sie müssen für eine Weile bei Freunden
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